Samstag, 28. September 2013

Bilder, Zeichen und Begriffe.


Zwischen Sein und Bedeutung unterscheiden wir, weil wir die Dinge selbst nicht “aussprechen” können; sondern nur bezeichnen. Das Zeichen kann ich aussprechen, aber es “bedeutet” etwas Anderes: ein Ding, einen Sachverhalt, ein Geschehen.

Man möchte meinen, das käme davon, dass wir nur durch unsere Sprache denken könnten. Wir denken ja auch nicht Dinge, sondern wir denken von den Dingen, über die Dinge. Das allerdings können wir auch ohne Sprachzeichen: in Bildern, in bildlichen Abläufen. Auch die Bilder “sind” nicht die Dinge, die Sachverhalte, die Geschehnisse, sondern bedeuten sie nur.

‘Analytisch’ gesprochen, besteht das Problem darin, dass ‘Denken’ stets im Sinne von Operieren, Reflektieren, Kombinieren ‘verwendet’ wird; nicht aber – richtiger – im Sinne von (vor-verbalem) Vorstellen; denn das schließt das innere Anschauen, das Repräsentieren durch “innere Bilder” mit ein.

Wahr ist freilich, dass ich das innere Bild als solches nicht fixieren und “behalten” kann: nicht abspeichern und erinnern, wann immer ich wollte. Dafür müsste ich schon ein Merk-Mal aus dem jeweiligen inneren Bild herausgreifen und zum Zeichen für das Ganze machen. X steht dann für das Bild in meinem Kopf. Ich archiviere das Bild in meinem Speicher unter X. Im Katalog zum alltäglichen Gebrauch muss mir nur X ständig bereit liegen, so dass ich damit “operieren” kann; und erst, wenn ich X selber anklicke, vergegenwärtigt sich das Bild.

Das heißt Symbolisieren. Die miteinander in systematischen Bedeutungszusammenhang gebrachten Symbole heißen Begriffe.

Wir denken aber nicht in Begriffen. Wir denken auch nicht logisch. Das diskursive Denken, das Begriffe in geregelten Schritten an einander knüpft, ist lediglich kritisch. Man braucht die Logik überhaupt nicht zum Denken, sondern nur zur Prüfung des Denkens. Das wirkliche, nämlich schöpferische Denken geschieht in einer Kaskade von unfasslichen Bildern. Erst wenn ich “daraus was machen” will – diese oder jene Handlung etwa, oder eine Mitteilung an Andere -, muss ich es feststellen, nämlich festhalten und bestimmen: durch ein Zeichen; am besten eins, das ich aussprechen kann.

“Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt”, sagt Ludwig Wittgenstein, aber das ist falsch. Die Grenzen unseres gemeinsamen Symbolsystems bedeuten die Grenzen unserer gemeinsamen Welt; nämlich ihrer Mitteilbarkeit, und die erheischt Bestimmtheit. meine Welt hat andere Grenzen, denn in ihr können auch Bilder vorkommen, die ‘nur sich selbst bedeuten’ – und daher unbestimmt bleiben dürfen. Wovon ich nicht sprechen kann, darüber muss ich nicht schweigen: Ich kann es zeigen.

Denn Symbole, nämlich Bedeutungsträger für andere, können auch Bilder werden. Sie irrlichtern dann am Rande unserer Welt und illustrieren die Stelle, wo sie an meine Welt nicht mehr heranreicht: Liebe, Leidenschaft, Freiheit, Sinn, Schönheit, Grauen, Glück, Ehre und Anstand; übrigens auch Komik und Wissen. Kein verständiger Kopf würde sie bestimmen wollen. Aber gezeigt werden sie oft und gern – in den Bildern der Kunst. Nicht zuletzt darum übrigens ist die Welt, im Unterschied zu den geschlossenen Umwelten, offen: weil in meiner Welt Anderes vorkommen mag als in der der Andern – und ich es ihnen zeigen kann.

Freitag, 27. September 2013

Wir denken nicht logisch.

Petra Dirscherl, pixelio.de

Wir denken nicht in Begriffen. Wir denken auch nicht logisch. Das diskursive Denken, das Begriffe in geregelten Schritten an einander knüpft, ist lediglich kritisch. Man braucht die Logik überhaupt nicht zum Denken, sondern nur zur Prüfung des Denkens. Das wirkliche, nämlich schöpferische Denken geschieht in einer Kaskade von unfasslichen Bildern. Erst wenn ich “daraus was machen” will – diese oder jene Handlung etwa, oder eine Mitteilung an Andere -, muß ich es feststellen, nämlich festhalten und bestimmen: durch ein Zeichen; am besten eins, das ich aussprechen kann. Das nennt man Symbolisieren.

 Januar 26, 2009



Donnerstag, 26. September 2013

Anschauung, Vorstellung, Begriff


Mit Vorstellung meine ich die Re-Präsentation eines zuvor schon angeschauten Bildes; wobei es unerheblich ist, ob das Bild 'wahr-genommen' oder 'ein-gebildet' worden ist. Entscheidend ist die Anschaulichkeit.

Das Re-Präsentieren geschieht, indem das Bild mit einem Symbol ausgezeichnet und in einem Speicher abgelegt werden. Dort werden sie durch das Aufrufen des Zeichens 'vergegenwärtigt'.*

Vorstellungen, die durch ein Symbol bezeichnet sind, lassen sich ipso facto zu einem System fügen; und werden zu Begriffen. 

Juli 21, 2009 


*) Wir sagen erinnern, aber meinen eräußern.

 

Mittwoch, 25. September 2013

Wissenschaft ist öffentliches Wissen, punctum.

 
Padua, Anatomiesaal von 1593                                                                                                                                aus Die Wendeltreppe
 

Dass also Galileo sich (gegen die aristotelische mittelalterliche Scholastik) ausdrücklich auf die Philosophie Platos zurück besann und dessen Lehre von den ewigen “Ideen” umformte in die Vorstellung von “Naturgesetzen”, das war die materiale Voraussetzung der modernen Wissenschaften. Die formale Voraussetzung war: Kritizität, und auch die hatte die Philosoühie begründet. Der Rahmen, in dem Philosophie seit ihren Anfängen Statt findet, ist Öffentlichkeit. Öffentlichkeit und Kritik, Kritik und Öffentlichkeit, das ist schlechterdings dasselbe. Philosophie wird nicht privat betrieben, sondern im Dialog mit dem anders Denkenden. Heraklit polemisierte gegen den gesunden Menschenverstand, Parmenides polemisierte gegen Heraklit, die Sophisten gegen Parmenides, Plato gegen die Sophisten. Und immer so weiter. Es entstehen Schulen, Akademien und freilich auch geheime Orden und Sekten wie Stoiker und Pythagoreer. Aber das Entscheidende: Sie alle konkurrieren auf dem freien Markt der Ideen.

Das gilt auch, allen Vorurteilen zum Trotz, von der Philosophie des “finsteren” Mittelalters. Zwar galt sie damals als “Magd der Theo- logie” (ancilla theologiae), aber es kommt schon darauf an, wie Kant später bemerkte, ob die Magd der gnädigen Frau die Schleppe hinterher trägt oder ihr mit dem Licht voran den Weg weist! Und der wesentlich Beitrag der Scholastiker zum Aufkommen der modernen Wissenschaften war, dass sie ihnen ihr Medium geschaffen haben: die “Gelehrtenrepublik” (res publica eruditorum) an den Universitäten von Palermo bis Uppsala, von Dubl in bis Wilna, wo nur eine Sprache, Latein, gesprochen wurde, und keiner etwas von sich geben konnte, ohne dass es nicht gleich auf dem (damals) schnellsten Wege von allen andern einer kritischen Sichtung unterzogen wurde. Und die waren in ihrer Kritik nicht zimperlich! Erst so ist das Wissen zu einer gesellschaftlichen Instanz geworden. Erst durch diesen Vorlauf konnten die Akademien und wissenschaftlichen Societäten entstehen, in denen Newton und Leibniz das, was wir heute als “Wissenschaft” kennen, gründen konnten. 

Dabei war das Bewusstsein, dass wahres Wissen immer von der Mög- lichkeit der Letztbegründung abhängt, Newton ebenso gegenwärtig wie Leibniz. Philosophiae naturalis principia mathematica heißt sein Hauptwerk, und Leibniz ist bis heute selbst in der Umgangssprache als der Denker der “prästabilierten Harmonie” präsent.

Aber das war eben jene Metaphysik, der die Drei Kritiken von Immanuel Kant für immer den Garaus gemacht haben. Verzichtet also die Wissen- schaft seither auf einen ‘letzten Grund’ ihres Wissens? Auf die Frage nach Wahrheit? Na ja. Wir können sehr wohl erkennen, was unter gegebenen Prämissen wahr ist. Freilich: Wahr ist es nur so fern, wie ich die Prämissen ausdrücklich mit denke. Und wer verbürgt nun die Richtigkeit dieser Prämissen? Kein Gott, kein Kaiser noch Tribun. Es ist die Republik der Wissenschaftler, die das tut, Tag für Tag aufs Neue, und ihr gehört jeder an, der am Werk der unablässigen Überprüfung mit arbeitet (auf das Risiko hin, dass ihm alle andern in die Waden beißen: Das gehört dazu.)

Der Wahrheitsbegriff der modernsten Wissenschaften beruht auf einem Modus, den der Wiener Volksmund umschreibt als “einstweilen definitiv”. Die ‘letzten Gründe’, von denen sie ausgeht, sind dasjenige, was seit nunmehr vierzig Jahren als ihre Paradigmen bekannt ist, und wie sehr es in der Wissenschaft heute wie eh um Wahrheit zu tun ist, erkennt man an den so genannten “Paradigmen- wechseln”, die das Unterste zu oberst kehren und der Nachwelt jeweils wie eine ‘wissenschaftliche Revolution’ erscheinen.

Glauben kann man das, was wahr ist, und was unwahr ist. Wissen kann man nur, was wahr ist. Alles andre müsste man glauben.

Wissen ist das, was der öffentlichen Prüfung durch die Gemeinschaft aller Denkenden Stand gehalten hat. Das ist “Maß und Substanz” der Wissenschaft. Es ist ein pragmatischer Begriff. Er muss sich jedesmal bewähren. So wie sich in der Öffentlichkeit ein Jeder  jedesmal bewähren muss.

Exkurs 

Im Schulunterricht wird es oft so dargestellt, als habe Galileo durch die Einführung des Experiments die Naturkunde zu einer Erfahrungs- wissenschaft umgestaltet. Das muss man mit den Worten Albert Einsteins relativieren: dass die Erfahrung eine Theorie bestätigen oder widerlegen könne; doch führt keine Weg aus der Erfahrung zur Theorie. Anders gesagt: Das Experiment dient dazu, eine Theorie zu überprüfen, aber ersonnen muss man sie vorher haben. Steven Weinberg [Physik-Nobelpreis 1979] nennt es ein Vorurteil, dass es in der Wissenschaft darauf ankomme, keine Vorurteile zu haben. Es kommt darauf an, die richtigen Vorurteile zu haben.

Und hier kommt Galileo wieder ins Spiel. Er hat nämlich (auf die Philosophie Platos zurückgreifend) in die Physik das Vorurteil eingeführt, “das Buch der Natur ist in mathematischer Sprache geschrieben”. Indem die Mathematik eine jedermann zugängliche, für jedermann zwingend beweisbare Methode der gedanklichen Konstruktion ist, hat er so die Naturwissenschaft zu einer allgemein zugänglichen Öffentlichkeit gemacht. Und hier kommt nun auch das Experiment zu seinem Recht, denn es hat dieselbe Funktion: Indem die Versuchs- anordnungen von jedermann allerorten jederzeit nachgestellt werden können, macht er nicht mehr nur die Erarbeitung, sondern auch die Überprüfung der Theorie zu einer öffentlichen Angelegenheit.

Der Empirismus im engeren Sinn ist eine durch Francis Bacon begründete Unterströmung in der (insgesamt von Isaac Newton’s mathematischem Rationalismus beherrschten) englischen Naturwissenschaft des 17. und 18. Jahrhundert. Ihm diente das Experiment hauptsächlich dazu, Alchemie und ärztliche Kunst aus dem Dunst des Okkulten zu holen und öffentlicher Erörterung allererst zugänglich zu machen.

Merke: Der Naturwissenschaftler beobachtet keines Wegs “die Natur” so lange, bis sie ihm von allein ein Lied singt. Vielmehr reißt er vorsätzlich ein winziges Stückchen aus ihr heraus, zwingt es in die Folterkammer seines Labors und quält es kunstvoll so lange, bis es auf seine gezielten Fragen mit Ja oder Nein antwortet.
<zurück: III. Wie die Wissenschaft entstand. 

Ein institutioneller Schein von Wissenschaft.


Wissenschaft ist nicht Institution, sondern Instanz (wie die Kunst); wenn auch in öffentlichen Institutionen verfasst, die gern ein Monopol geltend machen. Aber im Grenzfall ist ihre Institutionalisierung sogar eine Schranke für ihren öffentlichen Charakter: Monopol = Exklusivität = Privatheit. Und nährt den Glauben, die Zugehörigkeit zur Institution sei selber schon Wissenschaft…

Begründet ist die Institutionalisierung der Wissenschaft aber nicht in ihrer Exklusivität – dass nur geprüfte Spezialisten mitmachen dürfen –, sondern im Erfordernis der Kontinuität des Wissens: Das Wissen muss nicht nur "ausgelesen", sondern darüber hinaus bewahrt werden (sonst gäb’s nichts auszulesen). Die Institution gewährleistet die Tradierung des Wissens: dass nichts verloren geht: dass die Akkumulation gründlich geschieht. Denn idealiter ist der Wissenschaftler einer, der alles weiß. 

Wenigstens "in seinem Fach". Aber das gibts natürlich nicht mehr. Das Spezialistentum macht sich innerhalb der Disziplinen breit, so dass selbst innerhalb eines Fachs die "Zusammenhänge" selber zu Fächern von Spezialisten werden; in Wahrheit aber die "Neue Doxa" sich breit macht: das Vertrauen darauf, dass der Nachbar schon wissen wird, was er tut, und man ihm seine Resultate getrost abnehmen kann…

So kommt es, dass allerlei Zwischen-Fächer auftauchen, die sich in den Ritzen der Institution festsetzen, ohne sich vor irgendwem ausweisen zu müssen – außer eben vor der Doxa innerhalb und außerhalb der Universitäten! Z. B. Pädagogik, Politologie, Publizistik… Soziologie und Ökonomie haben den Anfang gemacht.

April 23, 2009




Dienstag, 24. September 2013

Wie die Wissenschaft entstand.


Das bisherige Ergebnis war: Philosophie ist ihrem Wesen nach kritisch. Kritisch sein heißt: nichts gelten lassen, als was auf seine Gründe hin überprüft ist. So wurde die Philosophie zum Inbegriff und Modell der abendländi- schen Wissenschaften. Denn nicht jede mehr oder weniger wohl geordnete Ansammlung von Gewusstem ist schon Wissenschaft. Wissenschaft ist ein System von Aussagen, die untereinander in einem Begründungs- verhältnis stehen. Alles andere ist nicht Wissen, sondern Dogma: Glaubenssatz. 

Die Frage nach dem hinreichenden Grund lässt sich indessen ins Bodenlose hinab weiter treiben. Wenn nämlich stattdessen eine allererster (oder allerletzter) doch einmal gefunden würde, so könnte er der Definition nach nicht “begründet” sein – und dürfte nicht gelten. Wenn das Wissen allerdings auf einem Regressus in infinitum “beruht”, ist es ebenfalls nicht begründet!

Die Philosophie ist nun diejenige Wissenschaft, die sich diesem Paradox stellt – auf die Gefahr hin, es am Ende niemals (theoretisch) zu “lösen”, sondern höchstens (praktisch) in einem Akt überspringen zu können. Reelle Wissenschaft kann indessen nicht warten, bis das Problem der Letztbegründung zu Aller Zufriedenheit erledigt ist. Sie hat auch nicht gewartet, jedenfalls nicht mehr, als mit den Anfängen der bürger- lichen Gesellschaft von den Wissenschaften technisch verwertbare Resultate erwartet wurden. Wissenschaft im heutigen Verständnis ist im 17. Jahrhundert entstanden.

Aber sie hatte ihre Vorgeschichte. Positives Wissen ist angesammelt worden, seit Homo sapiens die Erdober- fläche durchstreift. Mehr oder weniger zufälliges Erfahrungswissen wurde von Mund zu Mund von einer Generation auf die andre vererbt, und je spezifischer es war, umso exklusiver wurde es überliefert. Ärzte, Baumeister, Handwerker jeglichen Fachs, Seeleute, Landwirte: Alle hatten ihre Geheimnisse, die nur an Eingeweihte weiter gereicht wurden. Gelegentlich aufgeschriebene Kompendien hatte einen “aporetischen” Charakter (von gr. áporos=ohne Weg), d. h. sie waren um jeweils einzelne Probleme gruppiert, ohne nach durchgängigen Begründungszusammenhängen zu suchen. 

Die “metaphysischen” (=jenseits der Physik angesiedelten) Spekulationen der Schulphilosophie brachten ihrerseits kein positives Wissen zustande, und hatten auch gar nicht diesen Ehrgeiz. Sie wollten “Betrachtung” (gr. theoría) sein und keine prâxis. Dennoch ist Wissenschaft im strengen Sinn durch die Philosophie zu Stande gekommen! Nämlich als Galileo sich (gegen die aristotelische mittelalterliche Scholastik) ausdrücklich auf die Philosophie Platos zurück besann und dessen Lehre von den ewigen “Ideen” umformte in die Vorstellung von “Naturgesetzen”.

Montag, 23. September 2013

Ich weiß nur…

Jusepe de Ribera , Saints Peter and Paul, um 1616.

…das, was ich einem Andern zwingend beweisen kann. Alles andere nehme ich nur an, wenn auch 
vielleicht mit größt möglicher Gewissheit.

Die Annahme einer Intelligenz außer mir ist nicht erst eine empirische, sondern schon eine logische Voraus- setzung der Vernunft.

Juli 20, 2009


Nota. - Fichte hat aus der logischen Unvermeidlichkeit des Verkehrs unter den vernünftigen Subjekten für die Wirklichkeit der Vernunft  auf die Notwendigkeit eines Mediums geschlossen, durch das sie kommunizieren können. Dass er also 'Licht und Luft a priori deduziert' hatte, hat damals viele rechtgläubige Kantianer zum Reden gebracht.

Kant hat allerdings in seinem Op. postumum an demselben Gedanken gearbeitet - etwa an derselben Stelle, wo er sich für den Titel Philosophie als Wissenschaftslehre in einem vollständigen System aufgestellt entschieden hatte.




Samstag, 21. September 2013

Ist Transzendentalphilosophie Anthropologie?


Die Anthropologie sucht, mal empirisch, mal spekulativ, Antworten auf die Fragen: Was kann ich wissen, was soll ich tun, was darf ich hoffen – mit andern Worten: Was ist der Mensch? Insofern liegt sie aller Wissenschaft – nicht historisch, sondern logisch-genetisch – zu Grunde. Sache der kritischen alias Transzendentalphilosophie ist es, aus den Erörterungen dieser Frage den dialektischen Schein auszuscheiden: die Neigung der Begriffe, sich zu Substantialisieren und ein Eigenleben zu führen. Sie ist eine ständige Begleiterin und treibende Kraft der Anthro- pologie.




Es gibt nur eine.

nach Tommy Weiss, pixelio.de 
 
Dass es nicht die Transzendentalphilosophie gäbe, sondern eine von X, eine von Y, eine von Z – ist radikal falsch. Es gibt nur eine Transzendentalphilosophie, und was an den vorliegenden Texten die persönliche Zutat von X, Y oder Z ist, ist historisch und zufällig. Deshalb ist auch deren besondere Weise der Darstellung jeweils nur eine von tausend möglichen – so hat es Fichte gelehrt.

Freilich 'gibt es' sie nicht als daseiende Substanz. Wie das Wahre, wie die Vernunft führt sie eine problematische Existenz. Sie ist immer nur in dem Maße, wie sie wirklich betrieben wird. No hay caminos. Hay que caminar.

Freitag, 20. September 2013

Hirnforschung und Transzendentalphilosophie.


In einem sind Hirnforschung und KritischePhilosophie einig: Das Ich ist keine Substanz. Doch während diese sagt: Das Ich ‚ist’ nur in actu, sagt jene: Ich ist gar nicht. Es ist die andre Seite der Frage: Wie kommt der Geist in die Materie? Wieder sagt jene: Es gibt keinen Geist. Fichte sagt: Er war schon immer drin, und hat recht (aber nicht so, wie er meinte). 

Geist nennen wir den Umstand, daß wir die Dinge nicht als solche wahrnehmen, sondern immer schon in ihrer Bedeutung. Auch die Tiere leben nicht zwischen lauter Dingen, sondern in einem Raum voller Bedeutungen. Doch diese sind ihnen von ihren Umwelten vor-gegeben. Der Mensch hat seine geschlossene Umwelt zugunsten einer offenen Welt verlassen. In diese mußte er Bedeutungen erst hinein-erfinden. Der Geist ist eine Kompensation für den Verlust natürlicher Selbstverständlichkeit.

Da wir in unserer Welt gleiche oder konkurrierende Zwecke verfolgen, müssen wir uns verständigen. Dazu haben wir die shared significations in einem „Symbolnetz“ festgehalten. Aber in meiner eigenen Welt gibt es Bedeutungen, die ich nicht teilen muß. Der reelle Ursprung unserer Welt ist meine Welt; der logische Ursprung meiner Welt ist unsere Welt – so weit deren Begriffe reichen. Darunter liegt das Feld der Transzendentalphilosophie, alias Kritik. Es ist das Reich der produktiven Einbildungskraft.

im Sept. 2007

Philologen und Systematiker.

sigrid rossmann, pixelio.de

Der Alltag der akademischen Philosophie wird geprägt von den Philologen. Sie finden heraus, was Meister X wirklich gelehrt hat, an welcher Stelle und unter welchen Umständen; welche ideellen Bezügen zwischen den Lehren, welche reellen Beziehungen zwischen den Lehrern nachweislich sind; und sie fördern lange verschollene Schätze zu Tage. 

Von Mikrologien und Flohknackerei ist herablassend – und durchaus ungerechtfertigt – die Rede. Denn die Systematiker – die, die aus fremden und eigenen Gedanken neue Gebäude errichten – brauchen das Material, das ihnen die Philologen zubereiten, als den Stoff, aus dem sie selber bauen. Und als die Messlatte, an der sie sich prüfen können. 

In gewisser Hinsicht handelt es sich um dasselbe Verhältnis wie zwischen Experimenteller und Theoretischer Physik: Ohne die Empiriker hätten die Theoretiker keinen Stoff zum Theoretisieren. Aber ohne die Theoretiker wüssten die Empiriker nicht, was ihre Experimente eigentlich beweisen – und nicht einmal, welche Experimente sie überhaupt veranstalten sollen. Wer von beiden ist wichtiger?

Wer war zuerst da – das Ei oder die Henne? 

Wahr bleibt immer nur: Für das eine braucht man mehr Fleiß, für das andere mehr Einbildungkraft. (Für das eine mehr Scharfsinn, für das andre mehr Humor.)

Juni 2, 2009

Donnerstag, 19. September 2013

Reflexion ist Beweg-Grund

Liza Litsch  / pixelio.de
 
Reflexion kommt nicht ‚nach’ der Anschauung, sondern geschieht mit ihr uno actu. Sie ist sozusagen deren innere Spannung: Sie ist Absicht; ist Aufmerken; ist Absehen auf… Intentionalität, sagt Husserl: eine primäre Erwar- tungshaltung. Was wird erwartet? Eine Bedeutung in den Erscheinungen; dasjenige, was die Erscheinung zum möglichen Gegenstand einer Tat macht.

Reflexion ist das, was in der Wissenschaftslehre Trieb hieß; ist die Kraft des Anschauens.

Mai 5, 2009

Proprium humanum.

Zoschke, pixelio.de

Die Besonderheit des Menschen ist es nicht, dass für ihn die Dinge neben ihrem Dasein in Raum und Zeit auch noch eine Bedeutung haben – das haben sie für die Tiere auch. Sondern dass er beides unterscheiden kann – und so die Bedeutung jenseits von Raum und Zeit und übersinnlich erscheint.

Januar 12, 2009

Denn anders ließe sie sich nicht von diesem Ding lösen und an ein ganz anderes Ding anheften; ließe sie sich nicht symbolisieren.

19. 9. 13

Mittwoch, 18. September 2013

Ob es Wahrheit gibt…


Die Frage, ob es Wahrheit überhaupt gibt, ist Unfug. Die Antwort darauf wäre, wie immer sie ausfiele, wahr oder unwahr. So kann man nur fragen, weil man sich von der Wahrheit längst eine Idee gemacht – und also die Antwort „in Wahrheit“ schon vorausgesetzt hat. 

Da ‚es’ Wahrheit also ‚geben’ soll, ‚muß’ sie einen Grund haben. Und der muß sich in unserm Wissen auch auffinden lassen. Nicht so zwar, als ob er darin als eines seiner Stücke selber vorkäme; sondern als das, was übrigbleibt, wenn von allen tatsächlichen Wissensgehalten abgesehen wird: die allgemeine Form des Wissens überhaupt. Formen sind in Zeitlosigkeit geronnene Handlungen, in der Geometrie wie in der Logik. Der Grund des Wissens muß ein ursprünglicher Akt sein, actus purus. Er kann nichts anderes sein als jene ‚Tathandlung’, durch die das wirkliche Erleben sich ‚anschaut’ als eine Anteilnahme des Einen am Andern – wie an einer Aufgabe. Die Ur-Teilung von Ich und Welt „gibt es“ nur als Problem. Es stellt sich dem, der es sich stellt. Es einem andern andemonstrieren kann er nicht. Aber er kann davon erzählen, als ob es ihm widerfahren wäre, wie einen Mythos: So muß es gewesen sein! Wissen, das darauf „gründet“, bleibt problematisch. Daß es einen Sinn gibt in der Welt, ist eine Behauptung, die sich immer erst noch erweisen muß.

Februar 8, 2009

Gibt es denn Wahrheit?

rike, pixelio.de

Ich meine nicht, dass “es” Wahrheit “gibt”. Wer oder was könnte mit “es” gemeint sein? Und was sollte “geben” hier bedeuten? Dennoch haben alle Sätze, die ich sagen kann, nur dann einen Sinn, wenn ich unterstelle, daß sie wahr sind.

Das ist offenbar ein Paradox. Das läßt sich nur… nein, nicht ausräumen, sondern lediglich: vor mir her schieben, indem ich sage, dass es Wahrheit geben soll. Natürlich kann ich aber den Dingen nicht vorschreiben, wie oder was sie ‘sollen’! Der Satz ‘Wahrheit soll sein, weil anders meine Sätze keinen Sinn haben’ lässt sich anders formulieren: ‘Du sollst reden, als ob es Wahrheit gäbe’. Das ist keine theoretische Tatsachenbehauptung, sondern eine praktische (pragmatische) Fiktion. Ob ich diese Fiktion logisch, ethisch oder ästhetisch nenne, ist an diesem fortgeschrittenen Punkt schon gleichgültig. Es gibt allerdings Gründe, sie als eine ästhetische Fiktion aufzufassen.

Januar 3, 2009

Dienstag, 17. September 2013

Sprachspielnetz.


Das Wort (Klangbild) ist ein Symbol. Die Sprache ist ein System von Symbolen; System im Vollzug, indem sie gebraucht wird in der Sprachgemeinschaft; „Sprachspiel“; diachronisch. Es läßt sich aber als System darstellen, synchronisch: als kodifizierter Verweisungszusammenhang. Doch jeweils nur als endlicher Verweisungszusammen- hang: Lexikon, Grammatik, „Logik“. Das Wort „bezeichnet“, benennt ein Ding als „das, was“ es ist; aber das Ding kann selber Symbol sein: etwas „bedeuten“, das sich seinerseits nicht „endlich darstellen“ läßt; Gedanken- ding, „Begriff“. – Das gilt für das System der Sprache selbst: Es „sieht so aus, als ob“ es Alles umfaßt. „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“, Tractatus [5.6] [aber was heißt hier „bedeuten“? Bezeichnen? „Darstellen“? „Sein“?] 

Die Besonderheit dieses Systems ist, daß es – historisch und logisch! – unbegrenzt erweiterbar ist. Es ist Bild der Welt. In der Welt sind nicht nur die Dinge, die die Wörter benennen, sondern auch ihre… (und andere) Bedeutungen! Die Sprache ist ein (historisch je) endliches Symbol für ein „unendliches“ Ding. Nicht nur können immer neue Wörter eingefügt werden; es können auch neue Sätze gebildet werden, in denen die Wörter neu verwendet, „umgewidmet“, d. h. umgedeutet werden. Denn sie sind Symbole, Bilder, keine Abbilder. 

Und sie können auch sinnwidrig verwendet werden: „uneigentliches“ Sprechen z. B. Man kann die Wörter regelwidrig verwenden: das „Spiel“ stören. Sprach-Spielverderber.

Januar 15, 2009

Montag, 16. September 2013

Zeichen, Name, Begriffsbestimmung.


Man schreibt sehr viel jetzt über Nomenklatur und richtige Benennungen, es ist auch ganz recht, es muß alles bearbeitet und auf das Beste gebracht werden. Nur glaube ich, daß man sich zu viel davon verspricht, und zu ängstlich ist den Dingen Namen zu geben die ihre Beschaffenheit ausdrücken.

Der unermeßliche Vorteil den die Sprache dem Denken bringt besteht dünkt mich mehr darin, daß sie überhaupt Zeichen für die Sache, als daß sie Definitionen sind. Ja ich glaube daß grade dadurch der Nutzen den die Sprachen haben wieder zum Teil aufgehoben wird. Was die Dinge sind, dieses auszumachen ist das Werk der Philosophie. Das Wort soll keine Definition sein, sondern ein bloßes Zeichen für die Definition, die immer das veränderliche Resultat des gesamten Fleißes der Forscher ist, und es in so unzählichen Gegenständen unsres Denkens ewig bleiben wird, daß der Denker daher gewöhnt wird sich um das Zeichen, als Definition gar nicht mehr zu bekümmern, und diese Unbedeutlichkeit auch endlich unvermerkt auf solche Zeichen überträgt die richtige Definitionen sind.

Und das ist auch dünkt mich sehr recht. Denn da einmal nun die Zeichen der Begriffe keine Definitionen sein können, so ist fast besser gar keines derselben eine Definition sein zu lassen, als auf das Ansehen einiger Zeichen hin, die richtige Definitionen sind, so vielen andern die es nicht sind einen falschen Kredit zu verschaffen. Das würde eine Herrschaft der Sprache über die Meinungen bewirken die alle den Vorteil wieder raubte den uns die Zeichen verstatten. Es ist aber nicht zu befürchten, die sich selbst überlassene Vernunft wird immer die Worte für das nehmen was sie sind.

Es ist unglaublich wenig was ein solches definierendes Wort leistet. Das Wort kann doch nicht alles enthalten und also muß ich doch die Sache noch besonders kennen lernen. Das beste Wort ist das das jedermann gleich versteht. Also sei man ja behutsam mit der Wegwerfung allgemein verstandener Wörter, und man werfe sie nicht deswegen weg weil sie einen falschen Begriff von der Sache gäben! 

Denn einmal ist es nicht wahr, daß es mir einen falschen Begriff gibt, weil ich ja weiß und voraussetze, daß das Wort diene die Sache zu unterscheiden, und für das andere, so will ich aus dem Wort das Wesen der Sache nicht kennen lernen. Wer hat beim Metall-Kalch je an Kalch gedacht? Was kann es schaden die Kometen Kometen das ist Haar-Sterne zu nennen, und was würde es nutzen sie Brand- oder Dampf-Sterne zu nennen? (Sternschnuppe.)

Es läßt sich selten viel in die Namen eintragen, so daß man doch erst die Sache kennen muß. Parabel, Hyperbel, Ellipse sind Namen dergleichen sich die Chymie weniger rühmen kann, denn [sie] drücken Eigenschaften dieser Linien aus, aus denen sich alle die übrigen herleiten lassen, welches freilich mehr reiner Natur der Wissenschaft wohin diese Betrachtungen gehören als einem besonderen Witz der Erfinder dieser Namen zuzuschreiben ist. Aber was hilft eben diese Weisheit, man braucht sie wie den Namen Zirkel und Kreis oder Muschel-Linie, die keine Definition sind. Der Dispüt hat würklich etwas Ähnliches mit den puristischen Bemühungen der Sprachmelioristen, und Orthographen. Man hofft zu viel von guten und fürchtet zuviel von schlechten Wörtern. Die Richtigkeit des Ausdrucks ist es nicht allein sondern die Bekanntheit und der Wert eines Worts steht also gewissermaßen in der zusammengesetzten Verhältnis aus der jedesmalen Richtigkeit und der Bekanntheit. Freilich Regeln für die Wörterfertigung festzusetzen ist immer sehr gut, denn es kann ein Fall kommen, wo man sie gebraucht. Es ist würklich gut den Dingen griechische zu geben. Hätte man für die ganze Chemie hebräische Namen oder arabische wie Alkali pp, so würde man am besten dabei fahren je weniger man von dem Namen versteht.
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Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher Heft K, N°19

Samstag, 14. September 2013

Begriffe braucht man, wo ein Zweifel ist.


Für das, was sich von selbst versteht, brauche ich keinen Begriff. Es ist, und damit gut. Es sei denn, ich wollte gerade das kritisieren: dass es sich von selbst versteht. Begriff ist Maßstab der Überprüfung. Im täglichen Leben ist er die Ausnahme. Denn ohne die Gewissheit, dass das meiste sich von selbst versteht, brächte ich kaum mal 24 Stunden über die Runden. Würde ich den ganzen Tag nur zweifeln, käme ich nie zum Handeln. Denn nicht jede Handlung ist eine Haupt- und Staatsaktion, die ihrer Letztbegründung bedarf. Das meiste ist ganz alltäglich.

•Juni 4, 2009 

Freitag, 13. September 2013

Reflektieren ist bilden.

uschi dreiucker, pixelio.de

Unterscheiden zwischen 'der Sache' und ihrer 'Bedeutung' ist Reflexion. Es setzt voraus, dass die Bedeutungen der Sachen nicht schlechterdings gegeben sind, sondern erfragt werden mussten. 

Die Emergenz der Reflexion ist also nicht verschieden von der Emergenz der Vorstellung selbst. Nämlich von der Anschauung, die von der Einbildungskraft als diese fixiert und ins Gedächtnis aufgehoben wurde. Die Vorstellung verdoppelt die Sache zu einem Bild der Sache, das von ihr unterschieden und unter einem Zeichen archiviert werden kann. Das wiedergefundene Bild bedeutet die Sache. 

Es handelt sich um ein und denselben Vorgang. Die verschiedenen Worte, mit denen wir ihn beschreiben, bezeichnen verschiedene logische, aber nicht Zeitmomente - nicht eins nach dem andern, sondern je in dieser oder anderer Hinsicht.

Und ist der elementare Akt des Bildens einmal gelungen, lässt er sich prinzipiell allezeit wiederholen. Vom Bild lässt sich nun wiederum ein Bild machen, und immer so fort. Die Reflexion schläft nie. Sie schlummert höchstens mal, aber sie ist immer dabei.



Geist und Bedeutung.

knipseline, pixelio.de 

Der Schlüssel zum Verständnis dessen, was wir unsern Geist, Vernunft oder Wissen nennen, ist Jacob von Uexkülls Begriff der Bedeutung.

Bedeutung ist das, was einen Organismus veranlassen kann, sich so oder anders zu verhalten.

Daher ist Bedeutung keine spezifisch menschliche Dimension. Die Umwelten der Tiere haben für sie Bedeutung, wenn sie es auch nicht wissen.

Das gilt für alles Organische. Auch die Pflanze lebt in ihrer Umwelt und ‘merkt’; Licht hat für sie Bedeutung, Wärme hat für sie Bedeutung, Wasser, Wind…

Und selbst im anorganischen Bereich interagiert ein jeder Körper mit seinem Feld.

Das spezifisch Menschliche ist erst, dass die Bedeutung nicht nur da ist, sondern vorgestellt wird.

Die andere menschliche Besonderheit ist, dass in unserm Dasein Bedeutungen vorkommen, die keinen Bezug zu unseren Reproduktionsfunktionen haben; die gewissermaßen frei schweben.

Es liegt nahe, nach einem genetischen Zusammenhang beider Spezifizitäten zu fragen. Und es liegt näher, das freie Schweben von Bedeutungen – ihrer Herauslösung aus ihrer organischen Bezüglichkeit – als die Bedingung ihrer Vorstellbarkeit anzunehmen, als umgekehrt. Es würde mehr erklären.

•Mai 29, 2009

Donnerstag, 12. September 2013

Man behält nur Bedeutungen.

René Magritte. La Memoria

Eine große Rede läßt sich leicht auswendig lernen und noch leichter ein großes Gedicht. Wie schwer würde es nicht halten, eben so viel ohne allen Sinn verbundene Wörter, oder eine Rede in einer fremden Sprache zu memorieren. Also Sinn und Verstand kömmt dem Gedächtnis zu Hülfe. Sinn ist Ordnung und Ordnung ist doch am Ende Übereinstimmung mit unserer Natur. Wenn wir vernünftig sprechen, sprechen wir nur immer unser Wesen und unsere Natur. Um unserm Gedächtnisse etwas einzuverleiben suchen wir daher immer einen Sinn hineinzubringen oder eine andere Art von Ordnung. Daher Genera und Species bei Pflanzen und Tieren, Ähnlichkeiten bis auf den Reim hinaus. Eben dahin gehören auch unsere Hypothesen, wir müssen welche haben, weil wir sonst die Dinge nicht behalten können.
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Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher Heft J, N° 392

Eine Nachbemerkung zur Sprachlichkeit: Hätte der Mensch die Bedeutungen der Dinge ererbt wie die Tiere und nicht selber gemacht, müsste er sie nicht in seinem Gedächtnis aufbewahren; und müsste er sie nicht mit sprachlichen (mitteilbaren) Symbolen auszeichnen.
J.E.

•Februar 13, 2009

Mittwoch, 11. September 2013

Bedeutung…



Bedeutung ist dasjenige von hinten, was von vorn Absicht ist.*
Bedeutung ist die Scheidemünze dessen, was in großen Scheinen Sinn des Lebens (und der Welt) heißt.

*) Im Latein der Scholastiker hieß beides intentio.


Juli 29, 2010.
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Nota.

Bedeutungen verbinden meine Welt mit unserer Welt.  
In großen Scheinen: Der Sinn des Lebens ergibt mir den Sinn der Welt.

11. 9. 2013
 

Die Sprache kann das Unmittelbare nicht aussagen.


In der Sprache liegt die Reflexion, und darum kann die Sprache das Unmittelbare nicht aussagen. Die Sprache tötet das Unmittelbare… Das Unmittelbare ist nämlich das Unbestimmbare, und darum kann die Sprache es nicht auffassen; dass es aber das Unbestimmbare ist, ist nicht seine Vollkommenheit, sondern ein Mangel an ihm.

Sören Kierkegaard, Entweder-Oder, München 1975, S. 85
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Und schon klingt es mir in den Ohren: "Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt! Alles, was sich aussprechen lässt, lässt sich klar aussprechen! Wovon man nicht sprechen kann, davon soll man schweigen!"

Dem hat ein kluger Kopf ein für allemal entgegengehalten: “Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies zeigt sich. Es ist das Mystische.” (Ludwig Wittgenstein, Tractatus, 6.522)

Das Unmittelbare oder, wenn man so will, das Bloße Sein ist allerdings das Mystische, weil es nicht aus Bestandteilen zusammengesetzt ist, in die es sich wieder zerlegen (und mit Wörtern bezeichnen) ließe.Solange ich es nämlich nur in meiner Welt anschaue.

Was ich in unserer Welt damit anfangen will, das könnte – und sollte ich vernünftigerweise – 'entwerfen' und in klare Gedanken fassen, die sich 'klar aussprechen' lassen. Das ist ein Mangel an dem Unmittelbaren, da hat Kierkegaard wohl Recht, dass es das mystisch Unbestimmbare ist, nämlich solange ich noch nichts damit angefangen habe. Wenn es denn ein Mangel am Grund ist, dass er 'früher da' war als die Folge – aber eben noch kein Grund.

So erscheint er allerdings nur der anschauenden Betrachtung. In der Reflexion geht er verloren.
J.E.

Das Unmittelbare und das Verkehrte.


Aber ich bin auch in ‘meiner’ Welt nicht allein. Ich stehe von Anbeginn bis Schluss in Verkehr. Im Verkehr kann der Eine an die Stelle des Andern treten. Im Verkehr wird der Wechsel der Perspektiven habituell. Aus dem Verkehr erwachsen Abstände und Nähen, der Verkehr manifestiert Unterschiede und schafft Reflexion. Verkehr ist Vermittlung. In der Welt, die Verkehr ist, ist nichts unmittelbar. Genauer gesagt: In ‘unserer’ Welt ist nichts unmittelbar, ist alles nur ‘vermittels…’: Alles ist verkehrt. Das Unmittelbare kommt allein in ‘meiner’ Welt vor. In ‘unserer’ Welt kann ich es nur symbolisch vermittelt “zur Sprache bringen” – was in ‘meiner’ Welt gar nicht nötig ist.
•März 1, 2009 

Dienstag, 10. September 2013

Das Einfache ist nicht gegeben, sondern gemacht.

André Derain, Brücke über den Riou
Was uns “erscheint”, ist nicht einfach, sondern ungeordnet chaotisch.

Wir nehmen nicht die einzelnen Sinnesreize wahr, sondern immer schon das, was unser Sensorium daraus gemacht hat. Ein vorsorglicher Filter, in dem die Erinnerung an Millionen Jahre Gattungserfahrungen operationalisiert ist, hat schon das (ihm) Bedeutende von dem Unbedeutenden geschieden. Was uns ‘erscheint’, sind immer schon mehr oder minder bestimmte Bilder; ‘Figuren’ vor einem ‘Hintergrund’, die – zusammen- gesehen – etwas ‘bedeuten wollen’.

Das Bewusstsein alias die Reflexion tritt hinzu und fragt: Was soll das bedeuten? Das ist eine Frage ans Gedächtnis, dort ist allerhand gespeichert, mit dem die eingehenden Bilder verglichen und geordnet werden können nach dem Muster passt oder passt nicht. Passt es nicht, muss Neues hinzu erfunden werden.

Das ist ein ganzer komplizierter Apparat, der da in Bewegung getreten ist und, bevor ich irgendwas davon bemerkt habe, ins ungeordnete Gewimmel der Sinneszreize eine Ordnung gebracht hat. Was er hervor gebracht hat, ist nicht Dieses oder Das, sondern ein Tableau von beweglichen Figuren vor einem nicht minder beweglichen Hintergrund.

Mein Denken im eigentlichen Sinne – das Anwenden von vorgehabten Begriffen auf noch nicht gehabtes Anschauungsmaterial, das Vergleichen von Unbekanntem mit Bekanntem – greift in ein schon vorbearbeitetes Vorstellungsfeld. Es sortiert nach Begriffen: Was fällt darunter und was fällt daneben? Für das, was daneben fällt, müssen gegebenenfalls neue Begriffe angefertigt werden – oder es wird, als Einzelnes, bildhaft und analog gespeichert; in der ständigen Gefahr, zwischen den Registern der digital abgespeicherten Begriffe unauffindbar verloren zu gehen. Das Ideal meines Gedächtnisses ist: das Vorgefundene so klar und eindeutig (clare et distincte) im Register zu bewahren, dass es ohne Zeitverlust ad hoc auffindbar ist.

Mein Gedächtnis will vereinfachen.

Das trifft sich gut. Meine Urteilskraft will auch vereinfachen. Dann muss sie nur noch ja oder nein sagen; nicht zwar, vielleicht, aber unter diesen Umständen, doch eventuell, und andererseits; sondern einfach nur: so oder so. Meine Urteilskraft will genau so ihre Ruhe haben wie mein Gedächtnis. Unermüdlich ist lediglich meine Einbildungs- kraft. Die hat’s gern üppig und sprudelt.

Das ist das Kreuz: Die Einbildungskraft will nicht das Altvertraute, sondern das Verwunderliche. Sie hat sogar die Kraft, mein Sensorium dahin zu verführen, auf das, was gattungsgeschichtlich längst als unerheblich ausgemustert war, dennoch aufzumerken und es wahr- und wertzunehmen.

Mit andern Worten, ich kann Absichten fassen und danach das ungeordnet Mannigfaltige neu ordnen. 

Denken heißt, wie gedsagt, vereinfachen.

•Februar 18, 2009

Schreckliche Vereinfacher.

Malevitch, Carré noir
Denken heißt vereinfachen.

Wir nehmen keine 'Dinge' wahr. Auf unser Sensorium prasselt ohne Pause ein Sturzflut aller erdenklichen Reize ein. Nicht alle werden wohl an die Zentrale weiter geleitet: Redundanz betäubt. Und nicht alle kommen in der Zentrale an – weil die nämlich vorab schon filtert, was des Bemerkens wert ist und was nicht.

Noch bevor übrigens gedacht wurde. Die Stammesgeschichte hat unser Gehirn mit Regionen ausgestattet, die nur bei Homo sapiens vorkommmen – weil die dort verarbeiteten Informationen für die Lebenswirklichkeit von Homo sapiens von Belang sind, aber für andere Lebensformen nicht. Und jeder von uns bringt eine ganze Masse von Verschaltungen zwischen den Regionen fix und fertig mit auf die Welt, teils als die materialisierte Kollektiverinnerung unserer Gattung, teils – und keiner weiß, in welchem Maße – als individuelle Erbschaft.

Sie alle sind mit Vereinfachung beschäftigt.

Aber nun erst das Denken selbst! Es handelt sich – nach der unwillkürlichen, genetisch vorgegeben Auslese – um die willkürliche Anordnung der wahrgenommenen Gegebenheiten auf eine vorgängige Absicht hin. Nichts wird "nur so" wahrgenommen. Auch die zweckfreie ästhetische Betrachtung geschieht "um etwas willen" – um ihrer selbst willen, anders fände sie nicht statt. Für wahr wird nur das genommen, was in einem irgend erkennbaren Verhältnis zur Absicht steht; und im Erkennen unerwarteter und verborgener Verhältnisse zeichnet sich Intelligenz aus (Humor+Gedächtnis).

Das gilt für das alltägliche Denken des gesunden Menschenverstands nicht minder als für die Wissenschaft. Und namentlich die Philosophie. Man kann, ohne einen allzu großen Schnitzer zu riskieren, sagen: Philosophieren heißt vereinfachen. Die subtilen Distinktionen der Schulphilosophie sind nicht der Zweck des Philosophierens, sondern sein Mittel. Die historisch-philologische Arbeit bereitet der Philosophie ‘nach dem Weltbegriff’, wie Kant es nennt, das Material zu. Der Sinn ist immer: Ordnung in das Mannigfaltige bringen; festlegen, was das Wichtige sein soll und was hintan gestellt werden darf. Und zwar so, dass im Idealfall eine einfache Frage übrigbleibt, die mit ja oder nein zu beantworten wäre. Es ist, in einem Akt, das Abstrahieren vom Zufälligen und das Reflektieren auf das Notwendige.

Eine Anwort auf eine philosophische Frage von Erheblichkeit kann erst dann richtig sein, wenn sie einfach ist. (Sie kann allerdings auch dann noch falsch sein.)