Samstag, 30. November 2013

Zählen und messen und werten und schätzen.


S. Hofschlaeger, pixelio.de

..."Dieser Gedanke ... setzt als selbstverständlich voraus, daß Qualität und Quantität Grundeigenschaften der wirklichen Naturvorgänge sind. Das ist aber eine durchaus oberflächliche Anschauung. In unseren Erlebnissen sind uns nur qualitative Unterschiede gegeben. Den Unterschied zwischen 'Groß' und 'Klein' erleben wir zunächst nicht anders als den zwischen rot und blau. Erst durch die Zuordnung von Zahlen zu den Erlebnissen wird ein System von Zustandsgrößen geschaffen, zwischen denen quantitative Beziehungen bestehen." 
Philipp Frank, Das Kausalgesetz und seine Grenzen (Wien 1932)*, **

Erst die Arbeitsgesellschaft hat Messen und Kombinieren so in den Vordergrund treten lassen, daß der eigentlich-poietische 'Anteil' des Geistes - der eigentlich sein Grund ist - als ein uneigentliches Residuum in den Hintergrund tritt. Vollends mit dem Beginn der industriellen Kultur, wo Fragen nach dem "Wesen" (quale) im Zuge der 'Entmythologisierung' und 'Entzauberung der Welt' als "metaphysisch" direkt abgewiesen werden. Das postmoderne "Anything goes" ist nur der Punkt auf dem i. Es ist überhaupt nicht "post". Es verweist die Frage nach den Qualitäten endgültig unter die Spielereien; freilich - wenn sie "funktionieren", why not?

Dieses "Residuum" wird 'bestimmt' (ex negativo: als das uneigentlich-Überschüssige) als "das ästhetische Erleben".

Daher die Unmöglichkeit, das Ästhetische positiv zu "definieren": Es ist eben nicht "positiv", sondern negativ bestimmt: als Ausschluß von dem, was für die Welt der Arbeit "nicht nötig" ist. Im Laufe der Entfaltung der Arbeitsteilung und galoppierend seit der Industrialisierung wurde das immer mehr.

Nota. Die Bereitschaft, Bedeutungen zu erfinden über das unbedingt Nötige hinaus - Abenteuer, Spiel, Risiko - ist stammesgeschichtlich auf der männlichen Seite der Gattung stärker ausgeprägt; weshalb der Umstand, daß allein diejenige Gattung, wo das Männliche einen relativ autonomen 'Stand' erworben hat, diejenige war, die den Sprung in die Welt gewagt hat. Und weshalb die 'ästhetischen' Tendenzen bis auf den heutigen Tag im männlichen Teil stärker ausgeprägt sind als im weiblichen. (Sollte sich das künftig ändern, tant mieux.)

*) neu Ffm. 1988, S. 155

aus e. Notizbuch,14. 7. 2005
  
**) Ob ich reichlich zu essen habe oder nicht genug, ist der Qualitätsunterschied von satt und hungrig.

Freitag, 29. November 2013

Idealismus und Rationalismus.


Helene Souza, pixelio.de

aus einer online-Diskussion, in der die deutschen Romantiker als "Antirationalisten" dargestellt worden waren:

...Sicher waren die Romantiker weder Materialisten noch Rationalisten. Aber weder ist Idealismus der Gegensatz zum Materialismus, noch ist Irrationalismus der Gegensatz zum Rationalismus.

Der Reihe nach. Materialismus ist ein Antwort auf die Frage nach der Beschaffenheit der Welt: Ist sie eines geistigen oder eines gegenständlichen, "materiellen" Ursprungs? Das ist eine ontologische Frage. Die eine Antwort ist der Materialismus. Die andere Antwort ist der Spiritualismus.

Idealismus heißt die eine Antwort auf die Frage nach dem Ursprung des Wissens: Stammt es aus den Dingen, oder stammt es aus der Vorstellung? Es ist die erkentnislogische Grundfrage. Der Idealismus (von gr. ídein=sehen) leitet das Wissen aus einem ursprünglichen Akt eines Subjekts ab, das sich absichtsvoll den Dingen zuwendet und von ihnen etwas will. Die andere Antwort - Das Wissen nimmt seinen Anfang in den Mitteilungen, die uns die Dinge selber machen - ist der Realismus (von lat. res=das Ding).

Die erkenntnislogische Frage hat unmittelbar nichts mit der ontologischen Frage zu tun. Aber mittelbar. Ein Spiritualist muß Realist sein. Wenn das Wesen der Dinge ein Geistiges ist, kann die Wahrnehmung  der Subjekte nur dessen "Vernehmen" sein und kein setzender Akt. Und in der Tat war der Begründer allen Realismus, Plato, ein Spiritualist. Die "wahren Dinge" nannte er "Ideen" (von gr. eídos=Bild), die sich den Menschen, wenn auch in entstellter Form, "mitteilen".

Ein Idealist kann kein Materialist sein.* Aber auch kein Spiritualist: Er muß die ontologische Fragestellung als buchstäblich Gegenstands-los ansehen. Wenn das Wissen seinen Ursprung in einer ursprünglichen Handlung des Subjekts hat, kann von einem "Ding an sich" kein Gedanke, sondern höchstens noch ein Gerede sein. Denn aus den Dingen an sich (oder der "Welt" oder der "Natur") wird man allenfalls immer das herauslesen können, was man klammheimlich vorher in sie hineinprojiziert hat. Egal, ob man es dann "Materie" nennt oder "Leben" oder "Organismus"...

Der Begründer des modernen, "kritischen" Idealismus war Kant, den Fichte, der Vordenker der "frühen" Romantik, vollenden wollte (weil jener selbst nicht mehr dazu gekommen war). Kants Kritiken gehen gegen den "Dogmatismus". Darunter versteht er alle Philosophie, die glaubt, aus der Analyse und der Kombination bloßer Begriffe wahre Einsichten gewinnen zu können. Und alle Philosophen vor ihm waren so verfahren. Namentlich die Rationalisten der Aufklärungsepoche. Die waren Realisten. Die Logik in unserm Denken galt ihnen als "Ausdruck" und Niederschlag des Kausalitätsgesetzes in der Natur; während Kant umgekehrt die Kausalitäts- vorstellung als ein Konstrukt unserer Einbildungskraft darstellt.

Materialisten und Rationalisten waren die Romantiker also bestimmt nicht. Sie waren Idealisten, aber eben kritische Idealisten, und sofern sich Kritik allezeit nur der Vernunft bedienen kann, ist sie eo ipso rational. ...

Die Quantenphysik kann zu philosophischen Fragen unmittelbar gar nichts beitragen. Sie hat lediglich das Dogma der Kausalität in den Naturwissenschaften gebrochen. Auf die "Natur" können sich die philosophischen Rationalisten nun nicht mehr berufen. Aber das hätten sie - siehe oben - ohnehin nicht gesollt.

aus e. online-Forum, 22. 9. 07

 
*) Allerdings wird er sich, sobald er Naturwissenschaft betreibt, eines strikten Positivismus befleißigen: Nichts lässt er gelten, als was sich in Raum und Zeit unseren Sinnen nachweisen lässt. Und das könnte man in pragmatischer Hinsicht "materialistisch" nennen.

Donnerstag, 28. November 2013

Sehen ist bilden.


nach Rudolpho Duba, pixelio.de 

In den späteren Darstellungen der WL erscheint das 'Sehen' als ein ursprüngliches Bilden [WL '13

...aber das Bild ist immer ein Bild von Etwas: von dem, was im Bild dargestellt ist. Dies meint Fichte mit 'Sein', aber eben nicht, realistisch, eines, das dem Bilden als sein Vor-Bild zugrunde gelegen hätte; terminus a quo; sondern eines, das, nachdem es einmal gebildet ist, nicht anders angeschaut werden kann, denn als ob es schon immer hätte 'da sein' müssen: terminus ad quem. Es ist das, was schlechterdings sein sollte: "Die Wahrheit ist kein Faktum, keine Sache oder bloße Gegebenheit, sondern etwas, das schlechthin sein soll. Sie fordert ihre allseitige Verwirklichung; und nur, wo sie bejaht wird, verwirklicht sie sich." Reinhard Lauth, Die absolute Ungeschichtlichkeit der Wahrheit, Stgt. 1966, S. 39f

aus e. Notizbuch, in den 90ern


Nota.

So müsste man Fichte vor 1800 auffassen; später nicht mehr. 
Juni 2014 

Mittwoch, 27. November 2013

An sich.


Thomas Hein  / pixelio.de

Sobald das wirkliche Denken sich selber denkt, unterscheidet es sich von sich selbst – als ein Objektives unabhängig von einem Subjekt; als ein Immerdenkbares von einem jetzt Wirklichgedachtwerdenden. Seine jeweiligen Bestimmungen können darum als außerhalb der Zeit (und des Raumes) vorgestellt werden – richtiger: können nur außerhalb der Zeit und des Raumes vorgestellt werden; sobald sie nämlich als Bestimmt- heiten vorgestellt werden und nicht als das wirkliche Bestimmen eines Bestimmenden. Letzteres wäre das historische, wirkliche Denken; aber nicht das, was im Denken des Denkens gedacht wird. 

Nur so gibt es ein An-sich.

aus e. Notizheft 

Dienstag, 26. November 2013

Das Wissen selbst kann nicht Begriff werden.


Renate Tröße, pixelio.de

Das Absolute kann nicht Begriff werden (d. h. es muss zuerst Begriff werden; und "erscheint" in der Vernichtung des Begriffs)

Die WL handelt nicht von den Gegenständen des Wissens, sondern vom Wissen selber - abgesehen von den Gegenständen, die in ihm vorkommen.

So wird ihr das Wissen zunächst selber zu einem Gegenstand, "Begriff": das 'Wissen vom Wissen'. Es hat unter der Hand wieder eine Verdoppelung stattgefunden: Wir "haben" erneut nicht 'das Wissen selbst', sondern ein Bild des Wissens; als einen gewussten Gegenstand, nicht aber als das Wissen selbst, welches wir doch "einsehen" wollten; aber als ein nicht-objektiviertes; nicht-objektives; sondern als ein 'lebendiges'. Das heißt, wir suchen einen wissbaren Gegenstand, der aber nicht gegenständlich werden darf, weil anders er nicht das Wissen selbst, sondern wieder nur ein Gewusstes sein kann.

Soll also das Wissen selbst gewusst werden, muss es uns zu einem Gegenstand (Bild, Begriff) werden, was eben das Falsche ist; aber unumgänglich. Das Wissen selbst erscheint erst hinter seinem Bild - nachdem ich mir ein Bild gemacht und das Bild als... Falsches eingesehen und vernichtet habe; erscheint das, 'was' ich im  Begriff abgebildet habe, und was "übrigbleibt", wenn ich den Begriff von ihm abziehe; erscheint spezifisch als das Nicht-Begriffene!

aus e. Notizbuch, 7. 6. 92


Nachtrag.

Bei Schelling irgendwo: "Was im Begriff dargestellt ist, ruht." 'Wissen' ruht schlechterdings nicht, sondern ist überhaupt erst, wenn es aktiv ist. Die ästhetische Betrachtung ruht; darum ist sie auch kein Wissen. Wissen ist Anteil-Nahme. Betrachtung ist gar keine Nahme, sondern - Betrachtung; ganz von draußen.

Geltung.


Harald Lapp, pixelio.de
Es wurde beanstandet, dass ich Geltung und Bedeutung logisch nicht genügend auseinanderhielte.

Das ist aber auch richtig so. Denn nur Bedeutung gilt. Alles, was sonst vorkommt, ist. Und Bedeutung gilt immer nur als Urteilsgrund für eine mögliche Handlung. Geltung ist eine praktische Kategorie.


Montag, 25. November 2013

Der Begriff ist...


birgitH  / pixelio.de

- zum einen: Mittel der Kritik. Das Menschenleben ist am besten anschaulich, d.h. in bildhaften Ausdrücken darzustellen, jedenfalls in seiner 'Gänze'. Denn als Ganzes ist und bleibt es ein Rätsel. Einzelne 'Seiten' lassen sich herausgreifen, isolieren, de-finieren, in pragmatischer Absicht, nicht als positive Erkenntnis. Aber die bildhafte Darstellung läuft schnell aus dem Ruder. Der Begriff ist ein Mittel der Kontrolle. Durchleuchtet die Bilder.

Ständige Versuchung des abendländischen Denkens: das kritische Potential des Begriffs ins Positive zu wenden und aus dem Begriff die ganze Welt zu re-konstruieren: die 'Metaphysik' im engeren Sinn.

- zum andern: Der Begriff erlaubt, 'Elemente' aus dem Fluss des Erlebens herauszuheben, isolieren, de-finieren usw; und erst das 'begrenzte', 'bestimmte' usw. Phänomen lässt sich messen! Die Zergliederung bzw. Er-Fassung de Welt in Begriffe dient ihrer Messbarkeit und ergo Berechenbarkeit. Das Begreifen ist die operative Voraussetzung der Digitalisierung des Denkens und für das Kalkulieren der Welt. Dies zusammen mit der der metaphysischen Versuchung des abendländischen Geistes ergriff die rationalistische Metaphysik; Descartes, Spinoza, Leibniz. 

Deren scheinbare Vollendung: Fichte. Aber er fasst nicht die Welt ins begriffliche System, sondern das Bild der Welt. Und insofern ist sein 'System' Kritik, s. o.

aus e. Notizbuch, ca. 2002

Sonntag, 24. November 2013

Vorstellen und begreifen.


A.Dreher  / pixelio.de

Das Wunder ist, dass wir Sachen begreifen, die wir uns nicht vorstellen können.

Im bloßen Begriff geht der anschauliche Anteil der Vorstellung verloren. Das stammt offenbar aus der Reflexion. In der Reflexion unterscheidet der Vorstellende sich-selbst von seiner Vorstellung; und die Vorstellung von ihm-selbst. Nicht nur das Subjekt wird verselbständigt, sondern sein Objekt: Im Vorstellen sind Ich und das Vorgestellte noch ungeschieden. Im Vorstellen2 des Vorstellens1  verdreifacht sich die Vorstellung: in das Vorgestellte, in den Vorstellenden und in den Vorstellungsakt – als dem tätigen Verhalten des einen zum andern. Dabei müssen die Anschauung als das Was und der Anschauende als der Wer der Vorstellung verloren gehen (können) und das Wie des Vorgestellten sich verselbständigen (können).

Der springende Punkt ist offenbar die Symbolisierung – als der Sprung aus dem analogen in den digitalen Modus der Repräsentation. Sie entsteht bereits im Übergang vom unmittelbaren Anschauen zum Wieder-Hervorholen aus dem Gedächtnisfundus; das nämlich so lange prekär und zufällig blieb, als der Gedächtnisspeicher nicht geordnet war. Wie soll ich eine gehabte Anschauung wiederfinden in all dem Chaos, ohne einen hervorstechenden Anhaltspunkt? Das ist schwerer als ein Element in einem tausendteiligen Puzzle aufzufinden, von dem ich immerhin Größe und Umriss kenne.

Ob das Symbolisieren eher aus der Vorratshaltung oder eher aus den Erfordernissen der Mitteilung entstanden ist, ist unerheblich, weil die selber mit- und auseinander entstanden sein werden. Man könnte annehmen, dass die ersten Symbolisierungen aus dem Herausgreifen besonders augenfälliger ‚Aspekte‘ hervorgegangen sind, die so zu Merkmalen werden – immer noch im analogen Modus.

Der Übergang zum bloßen Zeichen ohne anschaulichen Nachahmungsanteil macht die Digitalisierung der Vorstellung in specie aus. Es handelt sich offenbar um Lautzeichen, um Wörter; um die Entstehung der Sprache. Denn zwar nicht für das Vorstellen selbst, aber sehr wohl für das diskursive Denken in Begriffen, das notfalls ohne jedes anschauliche Residuum auskommt, ist die Ausbildung von Sprachen die Bedingung: eines artikulierten Systems, eines „Spiels“ mit vereinbarten Figuren und Regeln. 

Wobei die Anschauung offenbar nicht wirklich verloren geht, sondern nur einstweilen abgelegt wird – in den Gedächtnisspeicher, wo es aufgehoben ist und aus dem es durch Aufrufen des zugeordneten digits zu jeder Zeit reaktiviert und vergegenwärtigt werden kann.

*

Der Übergang vom analogen in den digitalen  Modus bleibt das eigentliche Mysterium des Geistes – von dem wir allerdings wissen, dass es wirklich stattgefunden hat. Der Schritt vom Lautzeichen zum Schriftzeichen und vom Wortzeichen zum mathematischen Symbol erscheint demgegenüber nur als die geschäftsmäßig Leistung eines tüchtigen Handwerkers. Auch das Übersetzen ganzer Operationsstränge in mathematische Formeln bleibt in diesem Rahmen.

Anschauung ohne Begriff sei blind, meinte Kant, aber Begriffe ohne Anschauung seien leer. Das bezog sich auf die Philosophie der Wolffs und Baumgartens, der er selber angehangen hatte und die so verfuhr, als wenn eine Sache schon verstanden sei, wenn man nur ein Wort durch so und so viele andere ‚definiert‘ hatte; und die arglos darauf vertraute,  aus dem Kombinieren von Begriffen materiale Erkenntnisse synthetisieren zu können.

Nicht gedacht hat er an die moderne Physik, die sowohl im Makro- wie im Mikrobereich in mathematischen Formeln Sachverhalte beschreibt, die als wirklich gelten, bei denen sich aber niemand mehr etwas vorstellen kann, weil sie jenseits unserer Anschauungsmöglichkeiten liegen. Und es lassen sich daraus operativ Hypothesen entwickeln, die ihrerseits durch Experimente verifizierbar sind: Es lässt sich aus Begriffen materiales Wissen konstruieren! Allerdings immer nur mittelbar, durch Rückschluss; nie direkt.

Vorstellen können wir uns nur einen Raum mit drei Dimensionen – und die Zeit gesondert daneben. Ein vierdimensionales Raum-Zeit-Kontinuum können wir im Begriff denken; aber wenn es sich einer vorstellen will, muss er hilfsweise auf ganz unzulängliche Analogien aus unserer dreidimensionalen Anschauung zurückgreifen. Dem theoretischen Physiker unserer Tage wird das Operieren mit mathematischen Symbolen und Formeln so geläufig geworden sein, dass er sich darin zu Hause fühlt und meint, er könne sich ‚dabei was vorstellen‘. Doch dann müsste er es einem Außenstehenden veranschaulichen können. Und das geht mit einem Partikel, das zugleich, aber ebenso ausschließend eine Welle ist, genau so wenig wie mit einem Raum, der selber Zeit ist.

Hier wird als Begriff im Gedächtnisspeicher etwas abgelegt, dem nie ein anschauliches Substrat zugrunde lag. Es werden begriffliche Kombinationen der ersten Ordnung in mathematische Formeln gefasst und durch einen Begriff zweiter Ordnung ausgezeichnet, durch den sie ihrerseits abrufbar sind. Aber eine Anschauung, so residual sie sei, schiebt sich nicht dazwischen. Da wird nichts vorgestellt.

*

Wenn Ihnen einer sagt, er könne sich unterm Urknall etwas vorstellen, erliegt er einer Täuschung. Er hat an die Stelle einer mathematischen Formel ein mythisches Bild geschoben, und das ist allerdings anschaulich. Überführen können sie ihn, wenn Sie ihn auffordern, sich die letzte Sekunde  - oder Nanosekunde – vor dem Urknall vorzustellen. Da könnte er nämlich nur den flüchtigen Schatten von Gottvater ‚anschauen‘.

Und recht besehen reichen auch die mathematischen Formeln gar nicht bis in den Urknall hinein, sondern immer nur bis ganz kurz – ‚unendlich nah‘ – davor. Drinnen lässt sich nicht einmal mehr etwas denken. Aber dass es in der Sekunde – oder Nanosekunde – davor Nichts gegeben haben sollte, können wir schon gar nicht denken, weil wir uns dabei… nichts vorstellen können.

im Sommer 2013

 

Freitag, 22. November 2013

Umfang und Inhalt.


Rainer Sturm  / pixelio.de

"Die Bedeutung der Wörter ist ihre Verwendung im Sprachspiel." – Das ist salopp ausgedrückt. Um den springenden Punkt zu vertuschen? Die Bedeutung der Wörter bildet sich aus durch ihre Verwendung im Sprachspiel: Das wäre korrekt. Denn es lässt die Frage offen, wo die Wörter her gekommen sind; oder besser: Es stellt die Frage! Erst das Sprachspiel, dann die Bedeutungen? Oder doch: erst die Bedeutungen, dann das Sprachspiel?!

Einen Begriff nennen wir ein Wort, dessen Bedeutung durch seine Verwendungen in den Sprachspielen so fest gestellt ist, dass sie in den verschiedensten – na ja, in verschiedenen Sprachspielen fungieren kann. Ob ich nun 'Bedeutung' sage oder 'Verwendung im Sprachspiel' – dieses bleibt: Beide befinden sich in der Spannung zwischen dem Gehalt – 'intensio' – und dem Umfang – 'extensio' – des Begriffs. Wobei die Intensio nichts anderes ist, als was die Scholastiker intentio nannten: 'das, was beabsichtitgt ist, das, worauf abgesehen wird'. Die Extensio, das ist offenbar der Umkreis der (sinnlich begegnenden) Phänomene, die unter die Absicht des Begriffs fallen, die also im Begriff 'mitgemeint' sind. So, dass die Intensio die Qualitäten festlegt, die 'gemeint' sind; und die Extensio die Phänomene zählt, denen diese Qualitäten zugesprochen werden. So, dass weiterhin die Zahl der gemeinten Phänomene zunimmt in dem Maße, wie die Zahl der gemeinten Qualitäten abnimmt, und wiederum abnimmt in dem Maße, wie die Intensität (Stärke, Tiefe, nicht: Menge!) der jeweiligen Qualität zunimmt. (Und ohne Qualitäten geht es nicht.)

Es reproduziert sich in jedem Begriff die Doppeltheit des Bewusstseins, dass dem sinnlich Gegebenen eine Bedeutung zu-gedacht wird, und keines ohne das andere gedacht werden kann; also der 'Begriff' (oder das 'Ding', das er 'erfasst') immer in einer Schwebe vorkommt zwischen Umfang und Gehalt.

[vgl. Cassirer. Umfang und Gehalt d. Begriffs]

aus e. Notizbuch; um 2002? 

Donnerstag, 21. November 2013

Das Ästhetische bildet sich aus als Gegensatz zum Ökonomischen.


Rainer Sturm, pixelio.de 

Das Ästhetische steht eo ipso in Gegensatz zum diskursiven Denken – insofern jenes Ökonomie der Vorstellung ist; nämlich als Produktion von bezweckten Ergebnissen (‚Schlüssen’) aus vorliegendem Stoff (‚Gründen’), und zwar sparsam: die Gründe müssen zureichen, aber man bemüht davon nicht mehr als nötig; beides zusammen: das Argument muß zwingend sein. Denn das bedeutet: jederzeit reproduzierbar.

Sieht man ab zuerst auf die Zwecke der Vorstellung, ergibt sich das Bild der Teleologie. Sieht man dagegen ab auf die hinreichenden Gründe, ergibt sich das Bild der Kausalität – beide sind Vorder- und Rückseite desselben Vorstellungskomplexes, der sich, d. h. den wir Rationalität nennen. In jedem Fall geht es um das Hervorbringen, Ableiten oder Konstruieren der Vorstellungsgehalte; nicht, wie im ästhetischen Erleben, um wahr&wertnehmen uno actu. Darum kann man es, anders als jenes, wollen – und muß es wollen, weil es „nicht von alleine kommt“. 

aus Rohentwurf, 9. 


Nachtrag, Nov. 2013

Rationalität, schrieb ich, könne und müsse man wollen - im Gegensatz zum ästhetische Erleben, das "von alleine kommt". Das habe ich inzwischen berichtigt. Theoretisch, in der transzendentalen Darstellung, kommt das ästhetische Erleben 'von alleine'. Aber wir historischen, wirklichen Menschen, denen in unserer modernen bürgerlichen Welt das rationelle Absehen auf nahe wie fernere Zwecke habituell geworden ist, müssen uns erst zusammenreißen und die Zwecke absichtlich beiseite schieben, um das ästhetische Erleben als solches freizulegen. Als solches - d. h. vor der rationellen Bewusstseinsstellung der modernen Menschen war das ästhetische Erleben zwar 'da'; aber nicht als solches, sondern unkennntlich vermengt in den breiten Strom der noch ungeteilten Wahrnehmung. Vor dem Sieg der Rationalität; weshalb es noch heute als Quell des Irrationalen erscheinen mag, der es gar nicht ist.

Dienstag, 19. November 2013

Als Doktrin ist Philosophie gar nicht nötig.


Günter Havlena, pixelio.de

…als Doktrin scheint Philosophie gar nicht nötig, oder vielmehr übel angebracht zu sein, weil man nach allen bisherigen Versuchen damit doch wenig oder gar kein Land gewonnen hat, sondern als Kritik, um die Fehltritte der Urteilskraft (lapsus iudicii) im Gebrauch der wenigen reinen Verstandesbegriffe, die wir haben, zu verhüten, dazu (obgleich der Nutzen alsdenn nur negativ ist) wird Philosophie mit ihrer ganzen Scharfsinnigkeit und Prüfungskunst aufgeboten.

_____________________________________
Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft
in: Werke in zwölf Bänden. Herausgegeben von Wilhelm Weischedel. 
Frankfurt am Main, 1977; Bd. 3, S. 185


Wo der Geist herkommt.

wasserspiegelung_kl


Die Besonderheit des Menschen ist es nicht, dass für ihn die Dinge neben ihrem Dasein in Raum und Zeit auch noch eine Bedeutung haben – das haben sie für die Tiere auch. Sondern dass er beides unterscheiden kann – und so die Bedeutung jenseits von Raum und Zeit und übersinnlich erscheint.

Geist ist ein  Spaltprodukt. 





Montag, 18. November 2013

Wie ich und die Welt einander geschaffen haben.


Léon Bonnat, Jacob ringt mit dem Engel

Eines ist in der Geschichte ganz bestimmt nicht vorgekommen: dass ein bloßes geistiges "Vermögen", ohne einen körperlichen Träger und ohne irgendwelche physiologische Vorerfahrung rein und unbescholten in die Welt getreten wäre und sich spontan zur Selbst-Bestimmung entschlossen hätte. Und doch lässt sich der Sinn unserer Gattungsgeschichte nicht anders als im Bild dieses Akts darstellen. Dieses Bild hat selber keinerlei positiven Erkenntniswert, man kann daraus nichts schlussfolgern, es lässt sich in keinen wie immer gearteten Denkvorgang als Operator einbringen. Sein Wert ist ausschließlich "regulativ" und kritisch: Es soll uns vor dogmatisch spekulativen Abwegen in Acht nehmen. Gerade das ist es aber, was der Pädagoge braucht, damit er nicht etwa auf die Idee kommt, dass nur durch ihn der Mensch zum Menschen wird.

Wenn dann das uns überlieferte Bedeutungsgeflecht 'Welt' in der Geschichte einmal zu Stande gekommen ist, dann kommt es so jeden Tag neu zustande – wenn nämlich ein Neuer "zur Welt kommt". Und meine Welt ist dann keineswegs nur die individuelle Empfängnis von 'unserer' Welt, sondern mein eignes Bauwerk, in das gegebenes Material ebenso eingegangen ist wie mein eigner 'Plan'; und wenn der Plan auch an fremden Vorbildern orientiert sein mag, so habe ich mich doch für ihn entscheiden müssen. ...  

aus e. Notizbuch, in 2004? 


Freitag, 15. November 2013

Die Welt ist nicht "alles, was der Fall ist"...

© imago / Blickwinkel

Sie ist ein Tableau von Bedeutungen, die von den Generationen, die vor uns waren, festgehalten und zu einem "Symbolnetz" (Ernst Cassirer) geknüpft wurden. Darum nehmen wir gar keine 'Dinge' wahr, sondern immer nur 'das, was sie bedeuten'. Die Abstraktion davon: die Frage nach dem Ding, wie es 'an sich ist', gehört nicht zum natürlichen Bewusstsein, sondern schon zur Wissenschaft.

Wohlbemerkt: weder Dinge als solche noch Bedeutungen als solche; sondern das, was die Dinge bedeuten. Die Unterscheidung ist erst eine nachträgliche Leistung der Reflexion.


Donnerstag, 14. November 2013

Das Problem in ein Postulat verwandeln.


Karl-Heinz Laube, pixelio.de 

Die größte Kunst im Lehr- und Weltleben besteht darin, ein Problem in ein Postulat zu verwandeln, damit kommt man durch.  
____________________________
Goethe an Zelter, 9. 8. 1828 


 

Mittwoch, 13. November 2013

Verstehen.


Foto Beate Güldner

Was die Dinge seiner Umwelt dem Tier bedeuten, "versteht sich" von selbst - da muß es das Tier nicht auch noch verstehen. Die Gattung und ihre Umwelt sind gewissermaßen durch Vererbung miteinander verwandt. Dem Menschen werden die Bedeutungen der Dinge durch Symbole mitgeteilt, die ihm von andern Menschen überliefert wurden: Deren Bedeutungen muß er jedesmal wieder selber realisieren, nämlich verstehen.
 

(Zur Erinnerung: Symbole bezeichnen immer die Bedeutungen der Dinge; nicht die Dinge selbst: die "erschei-nen" ja leibhaftig...).




Montag, 11. November 2013

Den Menschen unterscheidet vom Tier…


…dass ihm sein Dasein rätselhaft vorkommt; und dass ihn das freut.

im Dez. 2008

Fraglichkeit.

Jens Bredehorn  / pixelio.de
Die Bedeutungen tierischer Umwelten haben alle einen gemeinsamen Nenner: Sie sind Funktionen der Erhaltung - der Individuen wie der Art. Was keinen Erhaltungswert hat, kommt in ihnen, wenn es auch 'da' ist, buchstäblich nicht vor. Der Mensch hat aber vor Jahrmillionen seine Urwaldnische verlassen und ist aus der ererbten Umwelt in eine fremde Welt aufgebrochen. Deren Bedeutungen waren nicht ererbt; er mußte sie selber heraus-, d. h. hineinfinden: Ihm kann alles bedeutsam werden. Und die Bedeutung ist, seit er einmal dem Überfluß begegnet war, nicht mehr auf den Erhaltungswert beschränkt: Jedes kann ihm Vieles bedeuten, und er kann sich sogar selber fraglich werden.


Sonntag, 10. November 2013

Digitale Denkrevolution?

Tomizak  / pixelio.de

Dass die digitale Revolution nicht nur die Produktion des materiellen Reichtums und die Weise unseres Kommunizierens umwälzt, sondern schließlich wohl gar unsere Sitten prägen wird, gehört zu den Trivialitäten des Feuilletons. Sensation macht aber weiterhin die Vorstellung, die Digitalisierung könne unser Denken selber revolutionieren.

Das analoge Denken, das uns von der Natur mitgegeben wurde, trägt seinen Mangel schon an der Wurzel bei sich. Die analoge Repräsentation der Welt erweist sich, wo immer es um Genauigkeit geht, als mit einem irreduziblen Rest von Ungefähr behaftet. Er ist der Ursprung von aller Ungenauigkeit, von sachlichen Irrtümern sowohl als von logischen Fehlern, ewiger Quell von Missverständnissen und am Ende sogar aller Konflikte zwischen den Menschen.
 
Die computergestützte Digitalisierung aller Denkvorgänge würde den gesellschaftlichen Verkehr auf eine völlig neue und solide Grundlage stellen. Digitalisierung ist die Bedingung des diskursiven Denkens. Der durch ein Wortzeichen identifizierte Begriff ist ein digit. Definiert wurde er durch andere Begriffe, die in einem geregelten und daher überprüfbaren Verfahren (‚Logik’) zu einem diskursiven Satz verknüpft wurden; und er lässt sich durch dasselbe Verfahren mit anderen Begriffen wiederum zu Sätzen verbinden, die neue Definitionen geben. Diskursives Denken und Rationalität bedeuten dasselbe. Die Beschreibung der Welt durch I und 0 ist der Schlusspunkt des diskursiven Denkens (und die Frage kommt auf, ob es in dieser Gestalt nicht automatisierbar ist).
 

In der gegenwärtigen globalen Klimadebatte erleben wir den Beginn dieses Umwälzungsprozesses. Wissenschaftliches Denken bestimmt nicht nur das politische Handeln, sondern wird durch ebendiesen Kanal schließlich Eingang ins Bewusstsein der Alltagsmenschen finden. Es ist gerade die Krise um das IPCC, die diese Hoffnung nährt. Keine Fallgrube, keine Fußangel bleibt lange unentdeckt, und der Tag ist abzusehen, wo die Wissenschaft der Welt wie ein einziges großes Wiki funktioniert.
 

Allerdings geht es hier immer noch erst um das Wie des Denkens und noch gar nicht um sein Was.
 

Der Anschein einer grundsätzlichen Überlegenheit des Digitalen über das Analoge beruht auf der Verwechslung von Wissenschaft und Technik.
 

Die Verwissenschaftlichung des Lebens durch die Industriegesellschaft ist ein Mythos. Das tägliche Leben und daher auch das Alltagsdenken der Menschen ist heute nicht stärker von ‚Wissenschaft’ beherrscht als je. Viele Ergebnisse der naturwisschenschaftlichen Forschungen sind in den letzten zwei Jahrhunderten ins Allgemeinwissen eingegangen; aber nicht als Wissenschaft, sondern als Doxa. Und beherrscht wird unser Alltag von der Technik und nicht von der Wissenschaft. ‚Jeder ein Wissenschaftler’ ist ebensolcher Blödsinn wie ‚jeder ein Künstler’, in der Industriegesellschaft nicht minder als bei den Ackerbauern.
 

Allerdings hat sich die Technik, die unsern Alltag durchdringt, in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend (!) verändert. 


Die industrielle Zivilisation hat eine mechanische Technik hervorgebracht, die auf dem linear-kausalen Denken der cartesisch-Newton’schen Naturwissenschaft beruhte. In der Wissenschaft selbst ist das lineare Denken seit bald anderthalb Jahrhunderten von der systemischen Denkweise der Thermodynamik verdrängt worden, die nicht einzelne Ursachen mit einzelnen Wirkungen verkettet, sondern die mehr oder minder wahrscheinlichen Veränderungen in einem ‚Feld’ unter sich ändernden Bedingungen beobachtet. Mit einiger Verzögerung hat dieses Denken schließlich Eingang in die Technologie gefunden, seit der Entwicklung von Kybernetik und Informationswissenschaft Mitte des vergangenen Jahrhunderts. Die Computerisierung erst der Produktionsabläufe, dann zunehmend des bürgerlichen Alltags, bekannt unter dem Schlagwort Digitale Revolution, ist das Ergebnis.

Nicht das Wissen ist digital geworden, sondern die aus dem Wissen entwickelte Technik.
 

Digital ist das Verfahren des (natur)wissenschaftlichen Denkens geworden, aber nicht sein Gehalt. Der ist so ‚bildhaft’ und ‚anschaulich’ wie je. Parameter der mechanischen Technik des Industriezeitalters war die zweidimensionale Konstruktionszeichnung ‚jenseits der Zeit’. Der Höhepunkt und Inbegriff des digitalen Denkens ist das animierte Hologramm* in zeitlicher Dynamik. Kein digit, sondern ein anschauliches, anschaulicheres ‚Modell’.
 

Die Technik erlaubt uns, das Modell für diesen oder jenen Zweck einzusetzen. Aber sie sagt uns nicht, was ein Zweck ist. Das hat das anschauliche Denken ‚vor’ oder ‚hinter’ den digitalen Verfahren immer noch selbst zu entscheiden.
 

Der wissenslogische Zugewinn der Digitalen Revolution ist immens. Aber er ist nicht positiv – etwa in dem Sinn, dass sich nun ‚Alles erfassen’ ließe; sondern negativ, in dem Sinn, dass das, was sich ‚nachhaltig’ der digitalen Erfassung verweigert, nunmehr identifizierbar wird. Digitalisieren, d. h. als Zeichen mit andern Zeichen zu einem sinnvollen ‚Diskurs’ verknüpfen, lässt sich nur Relationelles. Diskurs ist die Beschreibung einer Relation. Was nicht darin aufgeht, muss ein Quale sein. Als solches lässt es sich nicht beschreiben, sondern nur anschauen. Die Digitalisierung des Relationellen bringt die Qualitäten zur Anschauung.
 

Allerdings stellt das digitale Zeitalter die Politik auf eine neue Grundlage. Politik ist die Wahl der Zwecke – und erst danach die Suche nach der geeigneten Technik.
 

Die Fortschritte der Digitalisierung sind ein Prüfstein, ein Mittel der Unterscheidung. Digitalisierung scheidet das Was vom Wie, und zwar unwiderruflich.
 

*) Oder, umgekehrt’ die bildgebenden Verfahren der Hirnforscher.


Analog anschauen, digital repräsentieren, II.


Uwe Steinbrich  / pixelio.de

Der analoge Modus ist der Modus der Anschauung. Er ist nicht "positiv": Positiv ist erst das Setzen eines Was als Dieses. Um das Erscheinende der Anschauung als ein Dieses zu fassen, bedarf es der Verneinung; determinatio est negatio. Es müsste gefasst werden als 'nicht-alles-Andere'. Das lässt sich nicht anschauen, weil es das Paradox einer 'unendlichen Menge' ist: Das Unendliche lässt sich nicht anschauen. Es muss verendlicht werden zu 'nicht-Dieses'. - Also ist das Was der Anschauung selber zu bestimmen: Das Dieses muss selber 'gefasst' werden: Es muss 'vorgestellt' werden; durch Negation, d. h. Übergang in den digitalen Modus. Die Vorstellung ist die (qua Negation) digitalisierte Anschauung.

Das Tier kann anschauen, aber mangels Digitalisierung nicht vorstellen.

2. 11. 08

Samstag, 9. November 2013

Bedeutung ist dasjenige 'an' den Dingen...

A. Reinkober, pixelio.de 

...was zum Bestimmungsgrund für mein Handeln werden könnte; mich veranlassen kann, mein Leben so oder anders zu führen. Die Bedeutung eines Dinges feststellen heißt urteilen. "Der Mensch muss urteilen" und "der Mensch muss handeln" bedeuten dasselbe. Handeln heißt nicht bloß 'etwas tun' (das tut das Tier auch), sondern: einen Grund dafür haben.

Donnerstag, 7. November 2013

Den Menschen unterscheidet vom Tier…

…dass ihm in seiner offenen Welt auch solche Dinge…
Jean Baptiste Carpeaux, Le retit pêcheur

gewärtig werden, die keine Bedeutung für ihn haben – und ihm daher zum Rätsel werden.

Januar 13, 2009

Das wirkliche Bewusstsein ist ein reiner Praktiker.


Bernd Kasper, pixelio.de
In meinem Bewusstsein (nur davon kann ich wissen) kommen keine Erscheinungen vor, sondern nur das, was sie bedeuten. Eine Bedeutung ist etwas, das mich veranlassen kann, mein Leben so oder anders zu führen: ein praktischer Entscheidungsgrund. Hier ist nicht die Rede vom transzendentalen Subjekt – das führt kein Leben und tut dieses oder das, sondern 'ist tätig' in abstracto -, sondern von wirklichen Menschen. Die Unterscheidung von Sein und Gelten (den jeweiligen Modi von Erscheinung und Bedeutung) fällt nicht erst im kritischen Teil der Philosophie, sondern eröffnet ihn; gehört selber in die Metaphilosophie. Der Gedanke von einem Ding, wie es wäre, wenn es ohne Bedeutung wäre, ist ein Erzeugnis der Reflexion – indem ich nämlich von meiner existenziellen Bestimmtheit, mein Leben führen zu müssen, einstweilen absehe und so tue, als ob ich [von außerhalb in eine fremde Welt hineinschaute.]  

Aus e. Sudelbuch, Anfang 90er 

Mittwoch, 6. November 2013

Was Wahrheit wirklich ist.

Joujou, pixelio.de

Die Auflösung des Problems der Wahrheit ist ziemlich schlicht - aber leider auch wieder nur ein Problem. 

Nämlich so: Wahrheit ist gar nichts, das ist, sondern das, was gelten soll. Sie liegt gar nicht in den Dingen selbst, sondern in unseren Urteilen. Nämlich so, dass ich gar nicht urteilen könnte, wenn ich nicht voraussetzte, dass "es" Wahrheit 'gibt' - wohl wissend, dass "es" ein solches Es gar nicht 'gibt'. Wahrheit ist eine Fiktion. Aber keine, auf die ich, wenn's beliebt, auch verzichten könnte. Der umgekehrte Satz 'Wahrheit gibt es nicht' ist nämlich sinnlos. Indem der Satz offenbar beansprucht, wahr zu sein, widerspricht seine Form dem Inhalt. (Kommunika- tionstheoretiker reden von der Meta-Ebene im Unterschied zu der Objekt-Ebene.)*

Der theoretische Widerspruch, dass "es" einerseits Wahrheit nicht 'gibt', und "es" andererseits Wahrheit schlechterdings 'geben soll', lässt sich nur praktisch heben: Die Wirklichkeit der Wahrheit 'besteht' immer nur darin, dass ich nach ihr frage. Sie ist ein schöner Schein; aber ein unumgänglicher. 

aus e. online-Forum, in 2007

*) ein 'performativer Widerspruch', sagen die Sprechakttheoretiker...

 

Analog anschauen, digital repräsentieren.


Wolfgang Dirscherl, pixelio.de

Eben kommt eine Meldung, wonach der Unterschied zwischen Arbeits- und  Langzeitgedächtnis (u. a.) der sei, dass die Erinnerungsgehalte im ersteren analog, im zweiten aber digital abgespeichert würden. Eine digitale Form der Repräsentation der Welt im neuronalen Gewebe selbst? Das wäre eine wahre Revolution in der Hirnforschung.

Leider wird es aber wohl so sein, dass nur wieder die Begriffe schludrig verwendet wurden. Darum dieser Eintrag.


Aus einer Diskussion in einem online-Forum; im Juni 2010:

...weil 'digital' einen Sinn nur im gegensätzlichen Verhältnis zu 'analog' hat. Allerdings wird das Analoge als solches erst kenntlich, seit sich das Digitale sozusagen 'rein' ausgebildet hat.
 

Das nächstliegende Beispiel ist natürlich das Zifferblatt der Uhr. Bei der analogen Uhr wird die Abfolge der einzelnen 'Zeitpunkte' nicht durch ein den 'Punkten' gänzlich äußerliches Symbol 'bezeichnet'; sondern der Verlauf der Zeit wird durch die Eigenbewegungen der Zeiger 'gezeigt': Die Bewegung der Zeiger ist ein 'Abbild' der 'verlaufenden' Zeit. Der Zeiger repräsentiert die Zeit. Die Unterteilungen am Umkreis des Zifferblattes sind lediglich 'Anhalts'-Punkte.

Um ein digitales Zifferblat zu 'verstehen', muss ich die Bedeutung der Zahlen vorher kennen - und muss dann die Abfolge der Zeit'punkte' in meinem Kopf in das Bild der 'verlaufenden' Zeit übersetzen. Auf einem analogen Zifferblatt sehe ich, wie die Zeit verläuft. Ich muss keine Zahlen kennen, ich muss die Unterteilung des Tages in Stunden nicht kennen. Ein Fünfjähriger sagt: Wenn der große Zeiger da steht, ist die Mittagsruhe vorbei; dann kann ich wieder spielen.
 

In einem Spielfilm wird das Geschehen in bewegten Bildern 'gezeigt'; in dem Roman, der dem Drehbuch zugrundelag, wurde das Geschehen durch Worte 'bezeichnet'. Ich muss die Bedeutung der Schriftzeichen in meinem Verstand in Lautbilder umsetzen, die Lautbilder zu Wörtern zusammenfassen und mir deren 'Bedeutung' re/präsentieren. Und das alles muss ich vor meinem inneren Auge in bewegte Bilder übersetzen: Ich muss mir etwas vorstellen. Im Film konnte ich etwas anschauen.

Eine wesentliche Prämisse hat die digitale Repräsentationsform: Sie setzt voraus, dass die Zeit nicht 'fließt', sondern aus identifizierbaren Punkten 'zusammengesetz' ist. Ebenso kann 'der' Raum nur als Addition von einzeln bezeichneten (und als solchen bekannten) 'Räumen' vorgestellt werden. Das innere Bild, das ich 'mir mache', muss aus vorab bekannten Daten – Maßeinheiten - zusammengesetzt werden. Die digitale Information muss ich erst noch 'entziffern'. - In der analogen Darstellung ist sie sofort als ganze 'da'.

Grob gesagt: Die analoge Darstellungsweise hat den Vorteil der Fülle. Die digitale Darstellungsweise hat den Vorteil der Genauigkeit. Die eine ist unmittelbar, die andere ist Vermittlung.

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.... Nein, so kann es nicht sein: dass 'unser Denken auch in kleinsten Schüben erfolgt, also digital'. Ein Digit - von lat. digitus=(Zeige)finger - besteht aus zweierlei: zuerst aus einem Bedeutungsgehalt, und dann aus einem 'Zeiger', der auf ihn hinweist.

Es kann einen Bedeutungsgehalt geben, auf den kein Zeiger weist. Das dürfte auf die große Masse unserer Denkleistungen im Laufe eines Tages zutreffen. Sie kommen wie sie gehen. Man kann sie nicht behalten: Denn dazu müsste ich sie mit einem Zeiger versehen, durch den sie in meinen Gedächtnisspeicher einordnen kann. Mit einer kleinen Minderzahl von Denkleistungen machen wir genau das: Wir zeichnen sie durch Zeiger ('Begriffe') aus und können uns seither wieder an sie erinnern.

Umgekehrt kann es nicht sein: dass schon ein Zeiger da wäre, bevor noch ein Bedeutungsgehalt da war, auf den er weisen könnte. 



Allerdings sind im erlernten Begriffsystem eines sprachmächtigen Kulturmenschen tausende solcher Zeiger 'schon da' - nämlich gebunden ans das, auf was sie zeigen -, so dass in diesem Netz eine große Masse von den aus meiner Einbildungskraft sprudelnden 'Bedeutungen' sozusagen 'von alleine' hängenbleiben.

Die 'kleinsten Schübe' werden durch die begrifflichen Zeiger in das Sprudeln 'von außen' hineingetragen. Anschauung ist Anschauung und Reflexion ist Reflexion. Erst das Denken, dann das Denken des Denkens.

Es würde mich interessieren, wie die Bilder in unserem Gedächtnis gespeichert sind. Erst dann könnte ich sagen: Das kann sein, das kann nicht sein.

(Dies “Quale” fasziniert mich…)

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.... Das mit dem Speichern ist mir deswegen so wichtig, weil wir dann auch den "Zeigefinger" besser verstehen könnten. Es besteht der Verdacht, dass in unserem Gedächtnis mehr gespeichert ist, als wir uns erinnern können. Es kommt manchmal nur zufällig ans Tageslicht, manchmal unter besonderen Bedingungen wie z.B. während einer psychoanalytischen Sitzung oder in Hypnose.

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.... 'Wie' das gespeichert - und noch viel interessanter: 'wie' es dann wieder aufgerufen wird, das kann einstweilen keiner sagen, und es gibt theoretische Gründe für die Annahme, dass man es niemals wissen wird. Die Hirnforscher teilen uns mit, dass schon ganz einfache 'Gehalte' nicht etwa in dieser oder jener bestimmten Nervenzelle (Neuron) gespeichert werden, sondern bereits in 'Assemblies' von etlichen Dutzend, die über weit entfernte Hirnregionen verteilt und durch Synapsen mit einander verschaltet sind.

So schon für das 'Denken'. Vollends mysteriös wird es aber beim 'Denken des Denkens', der Reflexion. Die Hirnforschung hat buchstäblich nicht die leiseste Vorstellung davon, wie sie zustande kommt.

Vor zehn Jahren (siehe ‘Vom Gehirn zum Bewußtsein’, in: Elsner, N., u. Gerd Lüer (Hg.), “Das Gehirn und sein Geist”, Göttingen 2000) ist das Wolf Singer immerhin noch als ein Problem aufgefallen, aber seine gemutmaßte 'Lösung' war höchst zweifelhaft: Die Reflexion käme durch 'Iteration', das heißt die sehr rasche, sehr häufige Wiederholung immer desselben Vorstellungsakts zustande - so als würde die Vorstellung über ihre eigenen Füße stolpern.

Das hatte wenig Plausibilität für sich, aber immerhin hat der Forscher noch das Problem gesehen. Doch in demselben Aufsatz hat er auch erstmals sein seitheriges Steckenpferd angekündigt: die Attacke wider das Ich und seine Freiheit und die Behauptung durchgängiger kausaler Determiniertheit. Und dieses reitet er seither ohn’ Unterlass, und da hat er das störende Thema Reflexion schnell wieder beiseite gelegt.

Und schon sind wir wieder bei digital und analog: Denn eine 'Stelle', eine 'Instanz', einen 'Arbeitsgang' oder sonstwas, wo die analoge Anschauung in eine digitale Repräsentation 'umgerechnet' wird (und zurück!), und die man eben 'ich' oder 'Bewusstsein' oder 'Reflexion' nennen könnte, die muss es geben: weil dieses Umrechnen ja tatsächlich geschieht. Solange Singer nicht zeigen kann, dass und womöglich wie dieser Akt durch etwas Vorangegangenes 'determiniert' sein könnte, hat er gar kein Recht, auf die Annahme eines Ich zu verzichten.
 

Der Übergang von analog zu digital ist nämlich genau das, dessen Möglichkeit er bestreitet: Er ist ein Bruch. Der Bruch besteht in der Einführung des Verneinungs- und vor allem des Frage-Modus, die beide nur in der digitalen Repräsentationsweise möglich sind, nicht aber in der ihr zu Grunde liegenden analogen. Wie soll der Umstand, dass ich verneine oder gar: ob ich frage, denn 'determiniert' sein? Er ist ja die Entdeterminierung selbst.

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.... Das ist allerdings der entscheidende Unterschied: Auf analoge Weise kann ich keine Verneinung wiedergeben. 'Ein Pferd' kann ich mühelos 'zeigen' – ich brauche nicht einmal einen Fotoapparat, ein paar Bleistiftstriche reichen. Aber wie soll ich 'kein Pferd' zeigen? Kein Pferd sieht ganz genauso aus wie keine Suppenschüssel oder… keine Verneinung. Für 'nein' und 'nicht' brauche ich ein Digit, dessen Bedeutung jedermann vorab schon kennt.

Und wie ist es dann erst beim Fragemodus! Wie soll ich 'was ist ein Pferd' bildlich darstellen – ohne Fragezeichen?! Die Fülle der Anschauung ist der digitalen Zersetzung alles Wirklichen und Gedachten in Millionen Bedeutungsatome an Reichtum haushoch überlegen. Sobald wir uns aber klarmachen, dass uns 'die Welt' immer noch vielmehr Fragen aufgibt als sie beantwortet, erkennen wir, dass der Digitalmodus die Bedingung allen Wissens ist. Begriffe ohne Anschauung sind leer, sagt Kant, aber Anschauung ohne Begriff ist blind.



Nota, Nov. 2013:

Nicht damit zu verwechseln: der Umstand, dass eine Sinneszelle Reize allerdings 'im Takt' aufnimmt, in der kleinsten neuronalen Zeiteinheit von (soundsoviel) Millisekunden. Es ist wie in einem Kinofilm: Das Celluloidband ist aus ein paar Millionen einzelnen Bilder zusammengesetzt. Wenn sie rasch hintereinander abgespult werden, 'erscheinen' sie wohl in diskreten 'Sprüngen', aber nicht mir:  Ich nehme sie als stetigen Fluss wahr. Denn natürlich hat zwar die Filmkamera ein paar Millionen Mal ihre Bilder 'geschossen'. Aber es war ein stetiger Fluss, den sie 'aufgenommen' hat.