Samstag, 11. Januar 2014

VIII: Kausalität, oder Der Mythos vom Allverursacher


Die Logisierung, nämlich Mathematisierung der Welt durch Descartes und Newton im 17. Jahrhundert gilt als der Sieg der Vernunft über den Mythos. Wissenschaftlich und rational ist seither nur jene Weltbetrachtung, die alles Sicht- wie alles Denkbare unter die Kategorie von Ursache und Wirkung fasst. Dabei ist das selber ein Mythos, wenn auch einer von höherer Ordnung. Die alten Mythen erzählten – anders als die Wissenschaft, die in allgemeinen Sätzen spricht – immer von besonderen Ereignissen, die sinnbildlich auf Mehr deuten. Dieser moderne Metamythos handelt aber von Allem und Jedem.

Spinoza hat ihn zum mechanischen Universalsystem ausgetüftelt: Der Erste Verursacher – deus sive natura – konstruiert sich ordine geometrico zur Welt. Da hat die Kausalität keine Lücke – Determiniertheit aller Orten. Die Willensfreiheit war auch für ihn das große Skandalon. “Die Menschen täuschen sich darin, dass sie glauben, sie seien frei. Diese Meinung besteht bloß darin, dass sie sich ihrer Handlungen bewusst sind, die Ursachen aber, wovon sie bestimmt werden, nicht kennen. Das also ist die Idee ihrer Freiheit, das sie keine Ursache ihrer Handlungen kennen. Denn wenn sie sagen, die menschlichen Handlungen hängen vom Willen ab, so sind das Worte, von welchen sie keine Idee haben. Was der Wille ist und wie er den Körper bewegt, wissen sie ja alle nicht, und diejenigen, die etwas anderes vorgeben und einen Sitz und Aufenthalt der Seele erdichten, erregen damit nur Lachen und Verdruss.” (Substanziell mehr haben die Hirnphysiologen unserer Tage in dieser Sache auch nicht vorgebracht.)

Wenn ich mich einmal entschlossen habe, den Fluss des wirklichen Geschehens in eine zeitliche Folge von Zuständen aufzulösen, und ferner entschlossen bin, das Nacheinander der Zustände als ein Machen aufzufassen, dann werde ich, was Wunder, allenthalben Ursachen und deren Folgen antreffen. Aber aus welchem Rechtsgrund durfte ich so verfahren? “Wir wissen mit mehr Deutlichkeit, dass unser Wille frei ist, als dass alles, was geschieht, eine Ursache haben müsse”, sagt Lichtenberg; könne man also nicht das Argument umkehren und sagen: Unsre Begriffe von Ursache und Wirkung “müssen sehr unrichtig sein”, weil unser Wille sonst nicht frei sein könnte?

Sein älterer Zeitgenosse David Hume hatte die Idee der Kausalität bereits zwar nicht für unrichtig, aber doch für rational unhaltbar erklärt. Die Vorstellung, dass das, was post hoc – nach-jetzt – geschieht, propter hoc geschähe: wegen-jetzt, sei eine bloße Gewohnheit der alltäglichen Anschauung ohne jeden vernünftigen Grund. Noch kein Mensch hat sich bei dem Satz, dass Etwas ist, “weil” etwas Anderes vorher war, je wirklich etwas denken können – es sei denn, er hat sich einen Macher hinzugedacht.



Als Descartes und Newton seinerzeit die moderne, wissenschaftliche Weltanschauung begründeten, haben sie das nicht verhohlen: In ihrer mathematisierten ‚Natur’ wurde die Kausalität durch “wirkende Kräfte” gewährleistet, die der Schöpfer ihr eingepflanzt hatte; mechanische Kräfte: Druck und Stoß. Als etwa Newton ins Weltall die “Anziehungskraft” einführte, fehlte ihm im leeren Raum ein Medium, durch welches sie ‚übertragen’ werden konnte; also wurde gleich der ‚Äther’ mit hinzu erfunden! Im folgenden Jahrhundert obsiegten dann die Empiriker. Wirkende Kräfte waren experimentell nicht nachzuweisen. Auf den Sensualisten Locke folgte der Skeptiker Hume.

Alles hat seine Zeit, seit den Revolutionen der Thermodynamik ist Newtons Physik überholt, und in Einsteins Universum ist an wirkende Kräfte schon gar nicht mehr zu denken. Wer heute in der Wissenschaft die Kausalität nicht heuristisch-regulativ, sondern als Begründung verwenden will, muss sich seinen Macher klammheimlich hinzudenken. Wer etwas anderes vorgibt, erregt… Lachen und Verdruss. 

Denn natürlich ist der Satz, dass nichts ohne zureichende Ursache geschieht, viel älter als Newton und alle Wissenschaft. “Ich bemerke etwas und suche nach einem Grund dafür, das heißt ursprünglich: Ich suche nach einer Absicht darin und vor allem nach einem, der Absicht hat, nach einem Subjekt, einem Täter: alles Geschehen ein Tun – ehemals sah man in allem Geschehen Absichten, dies ist unsere älteste Gewohnheit. Die Frage ‚warum?’ ist immer die Frage nach der Causa finalis, nach einem ‚Wozu?’ Was uns die Festigkeit des Glaubens an Kausalität gibt, ist nicht unsere Gewohnheit des Hintereinander von Vorgängen, sondern unsere Unfähigkeit, ein Geschehen anders interpretieren zu können als ein Geschehen aus Absichten. Es ist der Glaube, dass alles Geschehen ein Tun sei, dass alles Tun einen Täter voraussetzt”, sagt Nietzsche.

Und Georg von Wright pflichtet bei, “dass die Unterscheidung zwischen Ursache- und Wirkungs-Faktoren auf die Unterscheidung zwischen Dingen, die getan werden, und Dingen, die durch eine Handlung herbeigeführt werden, zurückgeht. Eine Relation zwischen Ereignissen als kausal ansehen heißt, sie unter dem Aspekt einer (möglichen) Handlung ansehen”.

Das führt uns zu folgender Schwindel erregenden Konsequenz: “Der populäre Glaube an Ursache und Wirkung ist auf die Voraussetzung gebaut, dass der freie Wille Ursache sei von jeder Wirkung. Erst daher haben wir das Gefühl der Kausalität.” Allerdings ist es nicht der freie Wille von dir und mir, sondern der freie Wille des Welturhebers.

Wenn alles seine Ursache hat, dann muss am Anfang der Kette eine Erste Ursache stehen. Mit der Kausalität glaubten die Menschen, den Urheber bei der Arbeit belauscht zu haben: Die Natur hat einen “Plan”. Nichts tut sie ohne Bedacht. Und vergeudet nichts! Die Kausalität ist eine säkulare Theologie. Sie gehört zum Bild von der Natur als einem Haushälter. Sie ist die Apotheose der bürgerlichen Gesellschaft.

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