Sonntag, 16. Februar 2014

Philosophieren nach dem Schul- und nach dem Weltbegriff.


museum koenig

...Bis dahin ist aber der Begriff von Philosophie nur ein Schulbegriff, nämlich von einem System der Erkenntnis, die nur als Wissenschaft gesucht wird, ohne etwas mehr als die systematische Einheit dieses Wissens, mithin die logische Vollkommenheit der Erkenntnis zum Zwecke zu haben. Es gibt aber noch einen Weltbegriff (conceptus cosmicus), der dieser Benennung jederzeit zum Grunde gelegen hat, vornehmlich wenn man ihn gleichsam personifizierte und in dem Ideal des Philosophen sich als ein Urbild vorstellte. In dieser Absicht ist Philosophie die Wissenschaft von der Beziehung aller Erkenntnis auf die wesentlichen Zwecke der menschlichen Vernunft (teleologia rationis humanae), und der Philosoph ist nicht ein Vernunftkünstler, sondern der Gesetzgeber der menschlichen Vernunft. In solcher Bedeutung wäre es sehr ruhmredig, sich selbst einen Philosophen zu nennen, und sich anzumaßen, dem Urbilde, das nur in der Idee liegt, gleichgekommen zu sein. 

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Kant, Kritik der reinen Vernunft, A 839 


Nota.

Kant ist aktueller, als sich mancher träumen lässt. Den Satz von "einem System der Erkenntnis, die nur als Wissenschaft gesucht wird", hat Kant zu seiner Zeit vielleicht (oder doch?) noch nicht so polemisch gemeint, wie man ihn heute, angesichts der von Bologna auf die Spitze getriebenen Philologisierung und Selbstbezüg- lichkeit eines akademischen Fachs, verstehen könnte. Er hat umso mehr Recht, als einer heute eher noch als je zuvor als "ruhmredig" erscheinen muss, der sich mehr vornimmt - nämlich eine "Beziehung aller Erkenntnis auf die wesentlichen Zwecke der menschlichen Vernunft". 

Nichts Neues unter der Sonne? Oder bedeutet die Zuspitzung des Widerspruchs (i. e. das Raumgreifen des akademischen Getriebes), dass der Knoten bald platzen muss?
JE

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