Montag, 8. September 2014

Das Costa-Experiment, II.


AFP/Getty Images
aus Moralität und Kalkül.

... Die Wissenschaftler legten ihren Probanden ein klassisches Szenario aus der Moralpsychologie vor. Sie sollten sich vorstellen, auf einer Fußgängerbrücke zu stehen, wo sie Zeuge eines drohenden Unglücks werden. Ein Zug rast auf fünf Menschen zu, und es besteht nur eine Möglichkeit, das Leben der Unglücklichen zu retten - indem ein anderes geopfert wird. Dazu müssten die Beobachter auf der Brücke einen dicken Mann auf die Gleise stoßen. ...


Moralität ist keine Gewinn- und Verlustrechnung. Die mag rechtlichen Erwägungen zu Grunde liegen: Im Rechtsverhältnis, das der Fiktion nach auf einem Vertrag beruht, geht es darum, was der eine dem andern schuldet; alle gegenseitig. Es geht um den Vorteil hier und die Kosten da. Gewiss spielt Mehr oder Weniger da eine Rolle.

Bei der Moralität geht es nur darum, was ich mir schulde. Kann ich das auf mein Gewissen nehmen? Dass es mich hinterher beißt, ist klar, aber das muss ich vielleicht in Kauf nehmen. Etwa, weil es andersrum viel tiefer bisse? Geht es also doch um mehr oder weniger, nur diesmal rein egoistisch? 

Es ist ein Fehler, an Fragen der Moralität mit Begriffen heranzugehen. Ethik ist eine Unterart der Ästhetik. Da gibt es nichts zu begreifen. Da gibt es nur Anschauung und unmittelbares Zustimmen oder Ablehnen. In ethischen Fragen vernünfteln ist unmoralisch. Der Laborversuch von Albert Costa ist antimoralisch, und das erlaubt er sich nur, weil er selber unmoralisch ist: "Das Urteil sollte nicht davon abhängen, ob man über das Leben des dicken Mannes oder von el hombre grande nachdenkt. Aber leider ist [für die Probanden] genau das relevant."

Die Probanden sind eben moralischer als der empirische Psycholog. Ihr Urteil - 'Das tu ich nicht!' - steht unmittelbar fest. Dann lassen sie sich von Nützlichkeitsfragen irritieren, aber die weisen sie von sich und kehren zu ihrem ersten, ursprünglichen Urteil zurück: Nein, das tu ich nicht. Doch werden sie durch den Gebrauch einer Fremdsprache aus dem unmittelbaren Anschauungsmodus herausgerissen und auf eine höhere Reflexionsebene verführt, dann haben die utilitaristischen Anfechtungen länger eine Chance. Das und mehr nicht mag Costas Versuch bewiesen haben. Die Lehre: Stell dich moralischen Herausforderungen wann immer möglich in deiner Muttersprache und lass dich aufs Kalkulieren gar nicht erst ein. 

Im II. Weltkrieg wurden im Osten Wehrmachtssoldaten zu Judenerschießungen abkommandiert. "Hätte ich es nicht getan, hätte es ein anderer getan. Ich hätte nicht Einem das Leben gerettet; aber wer weiß, was sie mit mir gemacht hätten." Und da hat er eben seine Pflicht getan. Befehlsnotstand hieß das hinterher. 

Merke: Es ist nicht ein Fall bekannt, wo ein Wehrmachtsangehöriger bestraft worden wäre, weil er sich geweigert hat, Juden zu erschießen. Es gab gar kein Dilemma, sondern nur feige Klugheit. 





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