Sonntag, 28. September 2014

Der Mensch ist ein Zwischen-Ding.

 
 
Möge der Mensch in sich selbst zurück kehren und betrachten was er ist im Vergleich mit dem, was ist: er sehe sich an als verirrt in diesem abgelegenen Bezirk der Natur und wie ihm dieser kleine Kerker, in welchem er sitzt, nämlich diese sichtbare Welt erscheint, lerne er daraus die Erde, Die Reiche, die Städte, sich selbst und seinen wahren Werth schätzen.

Was ist der Mensch im Unendlichen? Wer kann ihn begreifen? Aber um ihm ein anders eben so staunenswerthes Wunder zu zeigen, suche er in dem, was er kennt, die geringfügigen Dinge auf. Eine Milde z.B. mag ihm in der Kleinheit ihres Körpers noch unvergleichlich kleinere Theile darbieten, Beine mit Gelenken, Adern in diesen Beinen, Blut in diesen Adern, Feuchtigkeit in diesem Blut, Tropfen in diesem Feuchtigkeiten, Dünste in diesen Tropfen, nun theile er noch er noch diese letzten Dinge und erschöpfe seine Kräfte und Gedanken und der letzte Gegenstand, wohin er gelangen kann, sei nun das, wovon wir reden wollen. Vielleicht wird er meinen, das sei die äußerste Kleinheit der Natur. Ich will ihm darin einen neuen Abgrund zeigen. Ich will ihm ausmalen nicht nur das fühlbare Universum, sondern auch alles, was er im Stande ist zu fassen von der Unermeßlichkeit der Natur im Umfang dieses unbemerkten Atoms. Er sehe darin eine Unzahl von Welten, von denen jede ihr Firmament, ihre Planeten, ihre Erde hat in gleichem Verhältniß wie die fühlbare Welt, auf dieser Erde Thiere und wieder Milben, in denen er wieder findet, was er in den ersten fand und auch in den andern findet er eben dasselbe ohne Ende und ohne Aufhören.

Er verliere sich in diesen Wundern, eben so erstaunenswerth /  durch ihre Kleinheit als die andern durch ihre Ausdehnung. Denn wer bewundert nicht, daß unser Leib, der eben erst nicht bemerkbar war in dem Universum, das selbst unbemerkbar ist im Schloß des Alls, jetzt ein Koloß ist, eine Welt oder vielmehr ein All im Betracht der letzten Kleinheit, wohin man nicht gelangen kann?

Wer sich auf diese Art betrachtet, wird erschrecken, sich in der Masse, die ihm die Natur gegeben hat, gleichsam schweben zu sehen zwischen den beiden Abgründen des Unendlichen und des Nichts, von denen er gleich weit entfernt ist. Er wird zittern beim Anblick dieser Wunder und ich glaube: seine Neugier wird sich in Bewunderung verwandeln und mehr sein sie still zu beschauen als sie hochmüthig zu untersuchen.

Denn genug, was ist der Mensch in der Natur? Ein Nichts im Vergleich mit dem Unendlichen, ein All im Vergleich mit dem Nichts, ein Mittelding zwischen Beiden. Er ist unendlich fern von den beiden Extremen und sein Wesen ist nicht weniger entfernt vom Nichts, woraus er gezogen ist, als vom Unendlichen, worin er sich verliert.

Seine Vernunft steht in der Reihe der erkennbaren Dinge auf derselben Stufe als sein Körper in der weiten Natur und alles, was sie vermag, ist, daß sie einigen Schein von der Mitte der Dinge bemerkt, in ewiger Verzweiflung weder ihren Anfang noch ihr Ende zu kennen. Alle Dinge sind hervor gegangen aus dem Nichts, und streben nach dem Unendlichen. Wer kann diese erstaunlichen Schritte verfolgen? Der Urheber dieser Wunder faßt sie, kein andrer kann das.

______________________________________________________________________________
Blaise Pascal, Pascal's Gedanken über die Religion und einige andere Gegenstände. Berlin 1840, S. 120f. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen