Samstag, 31. Januar 2015

Das Ding und seine Bedeutung.






Bevor es Boote gab, gab es keine Buchten.




nach Erich Rothacker, Philosopische Anthopologie, Bonn 1966, S. 66

Donnerstag, 29. Januar 2015

Wer das Nichts behauptet, behauptet nichts.



Auch die Sätze Nix gilt und Wahrheit gibt es nicht erheben Anspruch auf Geltung und Wahrheit.

Ein Zeuge Jehovas sagte mir, als ich mich als Atheisten zu erkennen gab, dann glauben Sie ja auch an was. Ich fragte: An was denn? Er sagte: Nichts. Auf meinen Einwand, Nichts sei nicht Etwas, blieb er die Antwort schuldig.

Dabei hatte er Recht. Ich glaube an die Wirklichkeit der Welt. Ich muss es wohl glauben, weil ich anders mein Leben nicht einen Tag führen könnte. Wenn er mir entgegnete, ohne den Glauben an Gott könne auch er sein Leben nicht einen Tag führen, würde ich ihm nicht widersprechen. Ich aber kann es.








Mittwoch, 28. Januar 2015

Pascals Wette.


spielbank bad neuenahr

Wenn du dein Leben so geführt haben wirst, als ob es einen Sinn hätte, hat es einen Sinn gehabt.





Dienstag, 27. Januar 2015

Wozu?







Sinn ist das Kriterium, das uns erlaubt, eine Wahl zu treffen. 
aus e. Notizbuch, im Juli 03

Nicht weil etwas Sinn hat, können wir wählen, sondern damit wir wählen können, muss etwas Sinn bekommen.






Montag, 26. Januar 2015

Der Sinn der Welt.


Die Welt selbst hat keinen Sinn. Umgekehrt. Indem ich [ihnen] einen Sinn [hinzu] erfinde, wird aus den Erscheinungen überhaupt erst eine Welt, und wenn nicht, dann nicht. Kann ich es also auch bleiben lassen? 

Die Welt wird erst, indem ich ihr einen Sinne an-erfinde. Der Sinn der Welt ist, dass ich in ihr mein Leben führen muss. Auf einen Sinn der Welt kann ich nicht verzichten, ich verzichtete denn darauf, mein Leben zu führen. Das Paradox: Ich mag wohl mein Leben nicht führen (sondern, sagen wir, mein Bedürfnis befriedigen). Allerdings kann ich mein Leben nicht nicht-führen wollen. Sobald ich will (und sobald ich überhaupt Ich denke), setze ich voraus, dass da ein Sinn ist; und ich ihn realisiere, indem ich etwas will. 

Ob das Leben einen Sinn hat, ist das pari von Pascal. Ich werde es darauf ankommen lassen müssen. Indem ich nach einem Sinn (überhaupt erst) frage, habe ich den Hauptteil der Antwort schon mitgegeben. Und andersrum: Der Sinn des Lebens besteht darin, dass ich nach ihm frage (und sobald ich mich bei einer Antwort beruhige, habe ich ihn sogleich wieder verloren).

aus e. Notizbuch, 11. 9. 03





Sonntag, 25. Januar 2015

Denken Sie noch manchmal an Wolf Singer?


Die Hirnforscher  haben keine Stelle im Gehirn auffinden können, die das Oberkommando führt, wo alle In- formationsstränge zusammenlaufen und wo die Entscheidungen fallen. Ein Ich, von dem die Philosophie so viel Aufhebens macht, gäbe es daher gar nicht, war ihre Schlussfolgerung.

Und unser sogenanntes Bewusstsein sei nur ein evolutionär eingeübter Spiegelungseffekt ohne eine Spur von Freiheit. Und ist im Prinzip nichts anderes als was die Tiere auch haben, kann man hinzufügen. Plausibel, wenigstens auf den ersten Blick, wäre das aber nur, solange es sich um das schlichte Wissen von diesem oder von jenem handelt - so etwas haben die Tiere offenkundig ja auch. Aber was wir unser Bewusstsein nennen, ist ja das Wissen, dass wir wissen. Es ist die Fähigkeit der Reflexion oder, richtiger gesagt, die Unfähigkeit, nicht zu reflektieren.



An der Stelle hatte sich Wolf Singer in seinen besseren Tagen schon früher die Zähne ausgebissen und ent- schuldigte sich mit einem verlegenen Hinweis auf die "Iteration", die rasche häufige Wiederholung Desselben, als ob die Vorstellung dabei quasi über ihre eigenen Füße stolperte und es irgendwie fertigbrächte, sich gegen sich selbst zurückzuwenden.

Metakognition
- das ist der springende Punkt in Sachen Ich, Bewusstsein und der Freiheit, nein zu sagen. Wenn seine Kollegen nun doch noch ein Areal, ein Zentrum im Gehirn lokalisiert haben, wo diese stattfindet, dann sind alle früheren Auseinandersetzung mit Singers Angriff auf die Willensfreiheit überflüssig geworden; wir haben eine Oberste Instanz, die indessen keine Substanz ist (was die Kritische Phiolosophie stets heftig bestritten hat), sonder die nur "ist", wenn und indem sie wirkt.






Samstag, 24. Januar 2015

Unendlich und bodenlos.



So unendlich die Welt ist, in die das Ich sich setzt - ent/wirft, pro-jiziert, konstruiert -, so bodenlos ist der Grund, aus dem es sich schöpft.

aus e. Notizbuch, 12. 7. 03





Donnerstag, 22. Januar 2015

Zugriff (Kleine Wissenslehre).



Alles, was ist, begegnet uns nur, sofern wir davon wissen. Wissen wir nichts davon, dann wissen wir nicht einmal, ob es ist. Es ist also so gut, als wäre es nicht. - Was ist aber das Wissen selbst? Also das Wissen unab- hängig davon, was wir wissen? Das Wissen ohne Was ist die bloße Form des Wissens. Es ist die Art des Zu- griffs auf ein Was (was immer es sei). Der Zugriff ist ein Akt. Durch diesen Akt werde ich selbst allererst Bestandteil des Wissens, zu einem, der im Wissen (nämlich seinem) vorkommen kann: als ein Wissender. 

Am Ende fallen wir in diese Plattheit: Wissen ist überhaupt nur Ausdruck von einem aktiven Verhalten zu Etwas. Ein Akt, durch den etwas Etwas wird und [sich das vegetative Selbst] aus der Latenz zusammenrafft zu einem Ich.

Da ich es getan habe, muss ich es zuvor gekonnt haben. Dieses Können kann ich nirgendwo auffinden. Ich kann es im Tun gewissermaßen erleben, tuend anschauen, aber weder vorher noch hinterher haben.

aus e. Notizbuch, 13. 7. 03


Das ist es, was die Transzendentalphilosophie substanziell von allen andern philosophischen Tendenzen unterscheidet: Sie unterstellt die Subjektheit als zugreifend. 

Kein Wunder, dass sie im letzten Jahrhundert, das vom zehrenden Selbst geprägt war, keine Freunde gefunden hat. Das wird sich erst ändern, wenn sich das Zeitalter ändert.

(Der vollendete Ausdruck des zehrenden Selbst war der Feminismus. Der ist auf dem Rückzug, das lässt hoffen.)



Mittwoch, 21. Januar 2015

Sinnlich, Sinnbild, Symbol.


kykladisch                                                                                                                                                                                        aus Rohentwurf

14. Sinnlich = in Raum und Zeit = endlich; was 'für' die Sinne 'dargestellt' ist: Sehen, Hören, Befühlen, Riechen, Schmecken. Was für die Sinne dargestellt ist, läßt sich durch die Sinne darstellen: abbilden; d. h. eingrenzen und bezeichnen: durch eine Zeichnung bestimmen. Kriterium des Sinnlichen ist seine Reproduzierbarkeit. [Analog: 'bewußt' ist das, was ich in meinem Gedächtnis wiederfinden= reproduzieren kann; was dort fürs Bw. dargestellt war...] Ist das pragmatische Kriterium aber auch das logische "Wesen"? Immerhin ist das pragmatische Kriterium historisch "früher da" als das logische Wesen: Erst das, was sich beim Versuch der Reproduktion der sinnlichen Darstellung 'verweigert', erscheint als - das Ästhetische; nämlich ein übersinnliches Mehr. [s. 1.]

J. Chr. Cl. Dahl

Das Symbol ist ein Bild, aber kein Abbild. Das Abbild zeigt "das, was" es abbildet. Das Symbol "zeigt" etwas Anderes als "es selbst": das, was es bedeutet; nämlich das, worauf es (wem?!), unabhängig von seinen zufälligen Formvarianten, "eigentlich ankommt" (z. B.: wozu man es verwenden kann). Ließe die "Bedeutung" sich abbilden, bräuchte man sie nicht zu symbolisieren.

Cimabue

Durch das Symbol wird die übersinnliche Bedeutung dem Ding angeheftet. Durch dessen regelmäßigen Gebrauch im Sprachspiel wird die Zusammengehörigkeit von Ding-Symbol-Bedeutung gewohnheitsmäßig verfestigt; wird der prozessierende Verweisungszusammenhang mit den andern symbolisch-bedeutsamen Dingen bewährt. Schließlich gewinnen, qua Symbolisierung, die Bedeutungen der Dinge "Wirklichkeit" vor den Dingen selbst - und die Welt als Inbegriff der Bedeutungen gewinnt Realität vor der dinglichen Welt; was Kant dann den "dialektischen Schein" nennt... 

Das Wort (Klangbild) ist ein Symbol. Die Sprache ist ein System von Symbolen; System im Vollzug, indem sie gebraucht wird in der Sprachgemeinschaft; "Sprachspiel"; diachronisch. Es läßt sich aber als System darstellen, synchronisch: als kodifizierter Verweisungszusammenhang. Doch jeweils nur als endlicherVerweisungszusammenhang: Lexikon, Grammatik, "Logik". Das Wort "bezeichnet", benennt ein Ding als "das, was" es ist; aber das Ding kann selber Symbol sein: etwas "bedeuten", das sich seinerseits nicht "endlich darstellen" läßt; Gedankending, "Begriff".

Zurbarán

- Das gilt für das System der Sprache selbst: Es "sieht so aus, als ob" es Alles umfaßt. "Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt", Wittgenstein, Tractatus [5.6] [aber was heißt hier "bedeuten"? Bezeichnen? "Darstellen"? "Sein"?] Die Besonderheit dieses Systems ist, daß es - historisch und logisch! - unbegrenzt erweiterbar ist. Es ist Bild der Welt. In der Welt sind nicht nur die Dinge, die die Wörter benennen, sondern auch ihre... (und andere) Bedeutungen! Die Sprache ist ein (historisch je) endliches Symbol für ein "unendliches" Ding. Nicht nur können immer neue Wörter eingefügt werden; es können auch neue Sätze gebildet werden, in denen die Wörter neu verwendet, "umgewidmet", d. h. umgedeutet werden. Denn sie sind Symbole, Bilder, keine Abbilder. - Und sie können auch sinnwidrig verwendet werden: "uneigentliches" Sprechen z. B. Man kann die Wörter regelwidrig verwenden: das "Spiel" stören. Sprach-Spielverderber.


 

Das anthropologische Apriori.




Der Mensch ist ein Wesen, das auf alle Dinge mit der Erwartung blickt, einen Sinn darin zu finden: Das ist das (historisch gewordene) Apriori der Transzendentalphilosophie, das ist das Geheimnis des transzendentalen Ichs und seiner "Freiheit". Denn der Sinn war nicht, wie Herbart und alle dogmatischen Denker annehmen, "vernom- men", sondern gemacht.

Bevor man irgendetwas Faktisches im menschlichen Geistesleben betrachtet, muss man diese Prämisse immer schon vorausgesetzt haben: eine grundsätzliche Bereitschaft zum Tätigwerden war immer schon "vorher da"; anders wird man nichts verstehen.

aus e. Notizbuch, 13. 8. 03


Bedeutung ist das, was mich veranlassen kann, so oder anders zu handeln. Sinn ist der Inbegriff der Bedeutun- gen. Nur weil der Mensch grundsätzlich zum Handeln gestimmt ist, muss er unentwegt nach einem Sinn suchen. 


Dienstag, 20. Januar 2015

Die Selbsterzeugung der Vernunft.



Also Vernunft, die intelligible Welt, ist schon da, wenn ich die Kette meiner Erfahrungen beginne, sie besteht in der 'Reihe vernünftiger Wesen', in die ich selber hineingeboren bin. Unter ihnen finde ich mich, erfahre ich mich als Individuum, nach ihrer Maßgabe denke ich mich als Ich. Nämlich jeweils, wenn ich mich als wollend vorfinde. Für die (rückblickende) Reflexion ist das Wollen daher das Erste.

*

Tatsächlich ist die Prämisse einer 'Reihe vernünftiger Wesen' nichts anderes als die Vorausgesetztheit einer 'intelligiblen Welt'. Die intelligible Welt wiederum ist nichts anderes als - die Vernunft selbst. Mit andern Worten: Vernunft ist nichts anderes als das praktische Übereinkommen wirklicher Personen, im wechselsei- tigen Verkehr nach gemeinsamen Zwecken = empirischen Willensbestimmungen zu suchen und fortzufahren. Diese Übereinkunft schafft in der Zeit nicht nur faktische, sondern auch logische (real logische) Folgen. Ver- nunft ist keine Tatsache, sondern Vollzug einer Absicht.

*

Dass Vernunft sei, nehme ich nicht wahr in der Begegnung mit andern Wesen, die ich hinterher als vernünftig ansehen werde wie mich selber. Wahr nehme ich bloß, dass sie da sind neben mir. Aus diesem bloßen Umstand schließe ich - finde ich? postuliere ich? -, dass da ein Medium sein muss, in dem wir miteinander bestehen. 

Mit andern Worten, die 'vernünftigen Wesen' sind - in meiner Vorstellung - eher da, als die Idee der Vernunft. Ich finde, dass sie 'in gewisser Hinsicht' mir gleich sind, oder ich ihnen. Dieses Tertium will ich Vernunft nen- nen. Wie weit es reicht, wird man sehen; was es ist, muss man dann nicht wissen.

aus meinen Kommentaren zu Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, S. 150f.


Montag, 19. Januar 2015

Der Wissensbegriff bei den Vorsokratikern.


attisch, ca. 650 v. Chr.

Der Wissensbegriff bei den Griechen

von Julius Baumann
"Man kann in Xenophanes auch das erste Aufdämmern 
kritizistischer Philosophie sehen, denn nach seinen poetischen 
Fragmenten weiß das Gewisse über die Götter und Dinge kein 
Mensch; träfe jemand selbst das vollkommen Richtige in seiner 
Behauptung, so weiß er das doch selbst nicht; Meinung (subjektive 
Überzeugung) herrscht in allem. Mit anderen Worten: wir haben 
immer nur unsere menschliche Überzeugung von den Dingen, können 
der Dinge selbst (an sich) als Dinge nicht habhaft werden."

Daß Wissenschaft und Philosophie, wie wir sie verstehen, zuerst bei den Griechen aufgekommen sind, steht geschichtlich fest. Es kann nur nach den modernen Ausgrabungen in Griechenland die Frage entstehen, ob die Griechen nicht in Philosophie Anregung oder Überlieferung vom Orient her erhalten haben. Daß sie nämlich die Elemente ihrer materiellen Zivilisation und die Anfänge der Kunsttätigkeit von dorther haben, kann nicht mehr bezweifelt werden. Und wenn Thales aus Milet (um 600 v. Chr.), den die Griechen als ihren ersten Philosophen aufführen, zugleich als Urheber der Geometrie und Astronomie bezeichnet wird, so hatte er, wie überhaupt die Griechen hierin, wahrscheinlich Traditionen aus den orientalischen Kulturstaaten, wo praktische Meßkunst namentlich in Ägypten geübt, Maß und Gewichtssysteme in Babylonien ausgebildet und astronomische Beobachtungen in Verbindung mit astrologischen Deutungen lange üblich gewesen waren. Bei den Griechen wurde nun alles das aus den praktisch-technischen und abergläubischen Beziehungen mehr losgelöst, die Gegenstände wurden um ihrer selbst willen untersucht aus bloßer Wißbegierde. In der Philosophie eröffnet Thales die Reihe der Monisten, wie man jetzt sagt, als könne man gar nicht anders denken, als daß alles in der Welt Umwandlung eines einzigen Stoffes sei. Diesen Urstoff, diesen Anfang (Prinzip, Arche), wie man bald sagte, sah Thales im Wasser, wie man neuestens gemeint hat, in Überein- stimmung mit babylonischen und ägyptischen Vorstellungen, die an Überschwemmungsbeobachtungen anknüpften. Früher noch hat Curtius darauf hingewiesen, daß um Milet viele Versteinerungen in den Gebirgen angetroffen werden.  

Schon Aristoteles war, da Thales nichts geschrieben hatte, auf Vermutung angewiesen und hat gemeint, Thales sei von der Betrachtung der lebenden Wesen auf seine Ansicht gekommen: die Nahrung von allem und der Same von allem sei feucht, also Bestand und Entstehung des Lebendigen an Flüssige gebunden. Thales hat nun, wie es scheint, das Leben auf alles ausgedehnt, mindestens schrieb er dem Magnetstein eines Seele zu, weil er das Eisen bewege und es ist nach ihm "alles voller Götter", wohl im Sinn von Bewegungskräften übermenschlicher Art. Das Einzige, was wir mit Sicherheit entnehmen können aus diesen zuverlässigsten Berichten über Thales, ist, daß ihm der Monismus in der Weltauffassung ganz selbstverständlich erschien, daß ihm Seele und Bewegungskräfte zusammen- hängen und daß es aus irgendeinem Grund das Wasser war, aus dem alles sich entwickelt habe und in das alles sich zurückverwandeln könne oder werde.

Bei Anaximander aus Milet, einem jüngeren Zeitgenossen des Thales, der eine Schrift, noch in sehr dichterischen Ausdrücken, verfaßt hatte, sieht man schon etwas mehr ins Einzelne seines Weltverständnisses. Ihm war der Anfang (das Prinzip) das Unbegrenzte, ein körperlich unbestimmter Stoff, aus dem die Gegensätze von warm, kalt usw. hervorgehen durch Ausscheidung und der unbegrenzt ist, weil er sich sonst in der Erzeugung der Dinge erschöpfen würde. Zunächst schied sich das Warme und Kalte aus, aus beiden entstand das Feuchte, aus beiden entstand das Feuchte, aus diesem sonderte sich die Erde, die Luft und der Feuerkreis ab, von dem wir nur Feuerringe (Sterne) sehen, weil die Luftmassen der Erde gegen die Feuersphäre dringen. Er hatte vele astronomische Lehren. Die Erde schwebt, von nichts gehalten, ruhend wegen des gleichen Abstandes von allem, ihre Gestalt sei zylinderförmig oder einer Säule ähnlich. Unter Einwirkung der Sonne hat sich die Erde aus dem Flüssigen herausgebildet. Die ersten Tiere sind im Flüssigen entstanden, "von dornigen Rinden umgeben". Hier kann man kaum zweifeln, daß die Versteinerungen um Milet ihn auf beides geführt haben. Die dornigen Rinden sind etwa die Schalen von Seetieren und da diese im Land gefunden wurden, mußte das Land einst Meer gewesen sein.  

 
Anaximander fährt fort: "mit der Zeit seien die Tiere auf das Trockene gegangen, die Rinde sei weggebrochen und so hätten sie weiter gelebt. Das steigert er dahin: auch die Menschen seien zuerst in Fischgestalt geworden; als sie so weit entwickelt gewesen, daß sie sich selbst helfen konnten, seien sie an das Land geworfen." Ob hier mythologische Vorstellungen asiatischer Völker eingewirkt haben, die als Erinnerungen an vergangene Zeiten genommen wurden, kann gefragt werden; "der Gott Dagon wurde in Fischgestalt gebildet"; aber daß Anaximander orientalischen Vorstellungs- und Gefühlensweise zugänglich war, beweist die nur von da aus verständliche Auffassung, die er so ausdrückte: "woraus die Seienden ihr Entstehen haben, darein findet auch ihr Vergehen statt nach der Notwendigkeit, denn sie geben Buße und Strafe für die Ungerechtigkeit nach der Ordnung der Zeit." Er nahm aber unendlich viele Welten an, nacheinander in der Zeit, diese Welten oder Weltkörper galten ihm als die himmlischen Götter.

Als altgriechisch gilt jetzt der orphische Unsterblichkeits- und Vergeltungsglaube. In der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts verbreiteten sich orphische Sekten in griechischen Ländern. Sie hatten eine bestimmte Lehre. Dionysos-Zagreus, Sohn des Zeus und der Persephone, wird in Stiergestalt von den Titanen zerrissen und verschlungen. Sein gerettetes Herz wird von Zeus verschluckt, um aus ihm den guten Dionysos hervorzubringen. Aus der Asche der blitzzerschmetterten Titanen entspringt das Menschengeschlecht. Die Menschen sind eine Mischung von Titanen und Dionysos. Askese ist Grundbedingung des frommen Lebens, das Höchste in dieser Asketik ist Enthaltung von Fleischnahrung. Wir werden später sehen, daß in mancher Philosophie bei den Griechen etwas von orphischer Gefühlsweise sich einmischt und so der Neuplatonismus, die letzte Philosophie der Griechen, von lange her vorbereitet war.

Bei Anaximenes (aus Milet um 500) sieht man die Methode seines Philosophierens mit voller Klarheit. Er geht aus von einer Beobachtung, die er dann nach zwei Seiten im Denken fortsetzt. Hauchen wir mit geschlossenem Mund, so wird die Luft verdichtet und es entsteht Kälte; hauchen wir mit offenem Mund, so wird die Luft dünn, das ist das Warme. Noch mehr verdünnt wird die Luft Feuer, noch mehr verdichtet Wind, Gewölk, Wasser (Regen) und sodann Erde, weiter Steine und aus diesen Elementen das Übrige. Die Luft war ihm zugleich das geistige Element, unsere Seele sei Luft (wohl wegen des Atmens). Die Luft war ihm unendlich, in ewiger Bewegung.

Bei allen drei ältesten griechischen Philosophen können wir uns leicht hineinversetzen, daß sich ihnen Wasser zu Luft umzuwandeln schien in der Verdunstung desselben und sich manchmal Luft an der Erde entzündet (in Solfataren [gashafter Erdhügel in der Nähe von Vulkanen]), so mochten Licht und Sterne ihnen bloß verdünntere Luft scheinen. Daß Wasser fest wurde, lag im Eis vor, aber daß es Erde wird, war das nicht verwunderlich? Und doch ist es erst Ende des 18. Jahrhunderts dem deutsch-schwedischen Chemiker Scheele gelungen, dieser Umwandlung den wissenschaftlichen Charakter zu entziehen. Immer hatte man wieder scheinbar ganz sicher beobachtet, daß aus Wasser, reinem Wasser, erdige Bestandteil sich niederschlugen. Scheele beobachtete gleichfalls, daß in einer Glasröhre mit reinem Wasser erdige Bestandteile sich fanden, aber er wog nun die Glasröhre vor und nach dem Wasser und da fand sich, daß die Glasröhre um soviel an Gewicht verloren hatte, als die erdigen Bestandteile wogen. Damit war die Umwandlung von Wasser in Erde wissenschaftlich aufgegeben.

So selbstverständlich sich dieser älteste Monismus vorkam, so war er nicht die einzige philosophische Denkweise des 6. Jahrhunderts. In Pythagoras und den Pythagoreern tritt uns eine durchaus dualistische Auffassung entgegen, deren Grundgefühl in der späteren griechischen Philosophie durchaus dualistische Auffassung entgegen, deren Grundgefühl in der späteren griechischen Philosophie durchaus überwog. Bei den Pythagoreern lassen wir Seelenwanderung und Dämonenglauben ganz beiseite, sie kamen ihnen nicht aus ihrer Philosophie, sondern sofern sie zugleich ein kultischer Verein waren. Pythagoreisch-orphische Mysterien erhielten sich in Unteritalien und gewannen Verbreitung. Sofern nach Pythagoras die Mitglieder seines Bundes sich besonders mit Mathematik, Musik und Gymnastik beschäftigen sollten, ist anzunehmen, daß er der Mathematik eine versittlichende Wirkung zuschrieb, was auch Pestalozzi tat. In der Mathematik großgenährt, glaubten nach Aristoteles die Pythagoreer in der Arithmetik viele Ähnlichkeiten mit dem zu bemerken, was ist und geschieht. Außerdem sahen sie noch die Eigentümlichkeiten und Verhältnisse der musikalischen Harmonie in den Zahlen. Daher entstand ihnen die Ansicht: Die Elemente der Zahlen sind die Elemente der Dinge, das ganze Weltgebäude ist Harmonie und Zahl. 


Um die Dinge kennen zu lernen, mußte man also die Zahlen betrachten. Die Elemente der Zahl sind das Gerade und Ungerade; das Ungerade ist Grenze oder Begrenzendes, dagegen das Gerade ist das Unbegrenzte, weil es sich durch 2 in gleiche Teile zerlegen läßt. Das Eins gehört zu beiden, denn zum Geraden gesetzt, macht es ungerade, zum Ungeraden gesetzt, macht es gerade. Das Gerade, auch wenn vom Ungeraden begrenzt, gibt dem Seienden die Unbegrenztheit. Dem Unbegrenzten gehört das Übel an, dem Begrenzten das Gute. Auf die Seite des Unbegrenzten stellten manche auch das Viele, das Dunkel, das Bewegte, das Weibliche, das Linke; auf die Seite der Grenze das Eins, das Licht, das Ruhende, das Männliche, das Rechts. Manche bildeten noch weitere Gegensätze wie unten und oben, vorn und hinten. Die Zahl selbst rechneten sie nur bis 10; was über 10 war, galt bloß als Wiederholung. Die Zehnzahl ist vollkommen und faßt alle Beschaffenheiten der Zahlen in sich. Mit der Vierzahl ist es ähnlich; sie ist die erste Quadratzahl und zusammengezählt mit den voraufgehenden Zahlen macht sie die Zehnzahl aus.

Daß sie von dieser Zahlenlehre Anwendung auf die Geometrie machten, zeigt, daß nach ihnen der Begriff der Linie aus der Zweizahl besteht, aber auch andere Begriffe definierten sie durch Anschluß an die Zahl. Die Gerechtigkeit war ihnen Quadratzahl, weil auf beiden Seiten bei ihr Gleiches steht oder stehen soll (was einer getan hat, soll er wieder leiden). Die Hochzeit ist Fünfzahl, denn 5 = 3 + 2 ist die Verbindung der ersten männlichen mit der ersten weiblichen Zahl.

Mit Benutzung dieser Lehren dachten sie sich die Weltbildung so: Von der Ureins wurde das Nächste des Unbegrenzten angezogen und durch das Eins begrenzt. So bildete sich das Weltall als eine Kugel. Das Ureins ist die Mitte des Weltalls, das Zentralfeuer, die Hestia, die Wache des Zeus. Das Feuer ist nämlich wertvoller als die Erde, darum gebührt ihm die geehrte Stelle, die Mitte. Um das Zentralfeuer bewegen sich zehn Himmelskörper; am fernsten von der Mitte der Fixsternhimmel, dann die fünf damals bekannten Planeten, weiter Sonne, Mond, Erde. Dies sind neun. Die Vollkommenheit verlangt aber zehn; es gibt noch eine Gegenerde, die unserer Erde gegenüber liegt und sich um die Weltmitte, der Erde folgend, bewegt. Sie wird von uns nicht gesehen, weil der Erdkörper uns daran hindert und wegen der Gegenerde sehen wir auch das Zentralfeuer nicht. Die Erde selbst bewegt sich als einer von den Sternen um die Mitte und bewirkt durch ihre Lage zur Sone Tag und Nacht. Nach der Erde kommt der Mond, dann die Sonne usw. Sonne Mond und Sterne bewegen sich mit ungeheurer Geschwindigkeit; dabei entsteht notwendig ein gewaltiger Ton. Diese Geschwindigkeiten haben infolge der Abstände die Verhältnisse von Symphonien; daher sind die Töne der im Kreis sich bewegenden Sterne harmonische (Sphärenharmonie). Wir hören diese Töne nicht, weil wir sie von Geburt an gewöhnt sind, wie ja auch den Bewohnern der Schmiede das Hämmern nicht mehr merklich wird.

Der Umkreis der Welt ist wieder Feuer. Jenseits desselben liegt das Unbegrenzte und der unbegrenzte Hauch. Aus dem Unbegrenzten wird eingeführt in die Welt ihr Atem, die Zeit und das Leere, welches die Plätze der einzelnen Dinge immer begrenzt. Einige hielten die Kometen für einen Planeten, der aber immer nur nach längerer Zeit erscheine.

Die Seele ist Harmonie; nach Einigen waren die Seelen Sonnenstäubchen, welche in der Luft herumfliegen.

Das ist, was man, Aristoteles folgend, als die Philosophie der Pythagoreer bezeichnen kann. Außer den Beobachtungen zur Zahlenlehre liegt hier die Ahnung vor, daß die Zahl von maßgebender Bedeutung in der Welt sei; noch mehr beherrschen sie gewisse Wertgefühle, den Zahlen und den Dingen gegenüber, welche ja nach ihnen aus Zahlen bestehen. Daß nämlich im Sittlichen und in der Natur das Wertvolle im Maß und in der Begrenzung bestehe, ist bei ihnen aus der griechischen Volksüberzeugung hervorgegangen ("Nichts zu viel", "Maß ist das Beste"; die olympischen Götter halten Titanen und Giganten = unbändige Naturkräfte gebändigt) und ist griechische Überzeugung geblieben. Daß im Menschen und in der Natur ein Element des Maßlosen sei, welches von Gott in der Naturordnung gleichsam für überwunden gehalten werde und im Menschen durch Vernunft und Bildung stets neu zu überwinden sei, wird sich auch als Überzeugung des Plato und Aristoteles herausstellen. Philosophen, die durch die Wertgefühle im Hintergrund ihrer Lehren wirken, werden uns bis zur Neuzeit wiederholt begegnen; die Pythagoreer sind das erste Beispiel dazu.

Alkmäon, ein Arzt aus Kroton, ein jüngerer Zeitgenosse des Pythagoras, erklärte das Gehirn für den Mittelpunkt der Empfindungen, denn dorthin führten aus den Sinneswerkzeugen Wege, Gänge. Vom Nicht-Sinnenfälligen haben nach ihm die Götter allein deutliche Erkenntnis, als Menschen haben wir bloß Vermutung darüber. Es konnte also in der Nähe der Pythagoreer und unter Anregung durch sie sehr reelles Wissen aufkommen.

Die erste Anregung zur eleatischen Philosophie ist von Xenophanes ausgegangen, einem Dichter aus Kleinasien (6. Jahrhundert), der sich im Alter in Elea in Unteritalien niederließ. Auf ihn geht die Formel zurück, daß alles Eins sei. Dieses Eine war ihm Gott. Wie er das genau meint, darüber hatte er sich nicht näher erklärt. Man kann in ihm auch das erste Aufdämmern kritizistischer Philosophie sehen, denn nach seinen poetischen Fragmenten weiß das Gewisse über die Götter und Dinge kein Mensch; träfe jemand selbst das vollkommen Richtige in seiner Behauptung, so weiß er das doch selbst nicht; Meinung (subjektive Überzeugung) herrscht in allem. Mit anderen Worten: wir haben immer nur unsere menschliche Überzeugung von den Dingen, können der Dinge selbst (an sich) als Dinge nicht habhaft werden. Fries hätte das geradeso ausdrücken können. Skeptiker wollte Xenophanes damit nicht sein; es gibt Forschung und einen Fortschritt, mit der Zeit erkennen die Menschen durch Forschung die Wahrheit besser. Einen solchen Fortschritt will er selbst bringen mit der Lehre, daß die Götter nicht geworden sind, so wenig wie sie sterben.  Ein  Gott ist der größte; das Beste kann nur eines sein. Dieser  eine  Gott sieht ganz (nicht bloß wie wir mit einem Teil von uns), denkt ganz, hört ganz, unbewegt bleibt er im nämlichen Ort und ohne Anstrengung schüttelt er alles mit dem Gedanken seines Geistes. Offenbar ist Xenophanes bestrebt, Gott als Geist zu bezeichnen und daß die Götter nicht sterben (nach griechischer Auffassung ihr Hauptmerkmal gegenüber den Menschen als Sterblichen), führte ihn wohl auf den Gedanken: sie sind Leben in sich, dann entfiel aber auch die Entstehung der Götter. Diese Entstehung gehörte zu den Vorstellungen der Menge und der Dichter, die nach Xenophanes ja auch den Göttern alle menschlichen Leidenschaften zuschrieben.

Aus diesen Anregungen heraus hat der Schüler des Xenophanes, Parmenides aus Elea (um 500), die eigentliche eleatische Philosophie gebildet, die sich im Gegensatz zur Sinnen- und Volkstradition auf die Vernunft berief und als obersten Satz proklamierte: das Seiende ist und es ist unmöglich, daß es nicht ist. An diesem Satz muß man festhalten und nichts vom Seienden aussagen, was mit dem "ist" nicht stimmt. Daher ist vom Seienden alles Werden ausgeschlossen, alles Entstehen und Vergehen, denn Werden schließt stets ein Nichtsein ein, was wird, ist ja noch nicht, das Seiende aber ist seiend und in keiner Weise nichtseiend. Weiter sind vom Seienden alle Arten der Veränderung und Bewegung ausgeschlossen, denn diese schließen immer ein Werden ein, das Seiende aber  ist  nur. Als frei von Werden und Veränderung ist das Seiende unentstanden und unvergänglich, unbewegt, unteilbar, also ganz auf einmal und ganz sich ähnlich. Das sind die direkten Bestimmungen, abgeleitet aus dem Urteil: das Seiende ist. Parmenides argumentiert aber auch noch indirekt. Entweder ist das Seiende oder es ist nicht. Das letztere ist unwahr, also gilt jenes. Das Seiende kann aber nicht entstanden sein, aus Nichtseiendem ist ein Entstehen nicht denkbar, welche Notwendigkeit hätte es auch früher oder später dazu bringen sollen? Aus Seiendem aber kann nichts werden, außer ihm selbst. Ein Wachsen des Seins gibt es nicht; das Seiende ist ganz sich selbst ähnlich, es ist nicht etwas mehr an ihm Sein oder weniger, entweder ist das Sein ganz oder gar nicht. Dieses Seiende ist das Volle, die raumerfüllende Masse; Parmenides vergleicht es einer schön gerundeten Kugel.

So ist das Seiende nach der Vernunft, so ist es in Wahrheit. Wenn dagegen die Sinne ein Vieles, Veränderliches, Bewegtes etc. zeigen, so ist das Schein. Gleichwohl behandelt Parmenides diesen Schein wie eine Art Realität und lehrt darüber: das All besteht aus Licht und Nacht, das Licht entspricht dem Seienden, die Nacht dem Nichtseienden. Auch Feuer und Erde soll er die Gegensätze genannt haben. Von den konzentrischen Kreisen, aus denen das Weltgebäude besteht, sind der äußerste und der innerste reines Feuer; die mittleren, gemischt aus Feuer und Dunklem, sind der Sitz der Gottheit, die alles lenkt; als den ersten von allen Göttern ersann sie den Eros, ihre gewaltige Macht zeigt sie in der Erzeugung. Im Menschen ist die Beschaffenheit der Glieder dasselbe, was denkt; je nachdem Licht oder Dunkel überwiegt, ist der Verstand ein anderer; alles Seiende hat eine Art Erkenntnis; der Tote empfindet noch das Kalte und das Schweigen.

Man kann des Parmenides Gedanken so mit Xenophanesvermitteln: wie dieser aus dem Nichtsterben der Götter die Folgerung zog, daß sie Leben in sich seien, also auch nicht entstanden sein konnten, so faßt Parmenides Sein, das doch von allen angenommen wird, im prägnanten Sinne und dann ergibt sich ihm nach formal-logischen Regeln, die er preßt (Sein ist Sein, also nicht Nichtsein, also nicht Werden, es gibt keinen Grund das Sein entstanden zu denken früher oder später), seine Ausrechnung. Aber warum hat er, der doch auch für den Schein eine nähere Auslegung suchte, allerlei Beobachtungen folgend, warum hat er sich nicht gesagt: wenn es nur ein Sein gibt, so muß der Schein doch wieder in diesem bestehen. Das erklärt sich aus dem, was überliefert ist, daß die alten Eleaten wegen ihres frommen und sittenreinen Wandels sehr geachtet waren. Es ist in ihnen der Zug, der in Plato und im Neuplatonismus so stark hervorbrechen wird, ein Zug aus der Buntheit und Bewegtheit der Sinnenwelt in etwas Ewiges und Unveränderliches. Sobald sie diesem Gefühl argumentierend Genüge getan hatten, beruhten sie im Gefundenen, gerade wie wir bei der indischen Vedantaphilosophie etwas Ähnliches finden werden, nach der es bloß  einen  Allgeist gibt und alles Einzelne und Nichtgeistige Täuschung ist, die doch nur im Allgeist entstanden sein würde.

Was man dem Parmnenides an Einwürfen entgegenstellte, kann man sich aus dem abnehmen, wie der Schüler desselben, Zenmo aus Elea (im 5. Jahrhundert, aber älter als Sokrates), seinem Lehrer zur Hilfe beibrachte. Die Welt des Vielen, Bewegten, Veränderlichen ist die Welt unseres Lebens, ihr gegenüber konnte des parmenides Sein als ein Traumbild erscheinen. Zeno nun getraut sich von der angeblichen Sinneswirklichkeit zu zeigen, daß sie, so genommen wie man sich sinnlich auf sie berufe, mit dem Denken, das man nicht leugnen könne, nicht faßbar zu machen sei:

  
    1. Ein Scheffel Hirse soll nach der Sinneswahrnehmung beim Herabfallen einen Ton hervorbringen, dann müßte aber auch  eine  Hirse und der tausendste Teil einer Hirse einen Ton hervorbringen.

    2. Alles nach den Sinnen Seiende ist in etwas; was in etwas ist, ist in einem Raum; dieser Raum als sinnenwirklich müßte also selbst wieder in einem anderen Raum sein und so fort ohne Ende.

    3. Gäbe es viele Seiende, so müßte jedes einzelne derselben entweder größenlos sein oder unendlich groß, was beides mit der Sinneswahrnehmung in Widerspruch steht. Als streng eins würde jedes Seiende unteilbar, also größenlos sein, was der Sinneswahrnehmung entgegen ist. Als mit Größe gedacht würde aber jedes Seiende nach der Geometrie ohne Ende teilbar sein, also selbst aus unendlich vielen Größen bestehen müssen, was wieder gegen die Sinneswahrnehmung ist.

    4. Bewegung ist nicht denkbar zu machen; denn gäbe es Bewegung, so müßte das sich Bewegende in endlicher Zeit unendliche Raumpunkte durchlaufen, da er Raum, auch der kleinste, nach der Geometrie unendlich teilbar ist.

Die Bilder, in welche Zeno seine Einwände gegen die Denkbarkeit der Bewegung brachte, Achilles kann die Schildkröte nie einholen, der fliegende Pfeil ruht, die halbe Zeit ist gleich der doppelten, dürfen wir übergehen, da das Angeführte genügt, um zu erklären, warum die Argumente Zenos bis auf die neueste Zeit Eindruck gemacht haben und einige dieser Bilder selbst Einwendungen ausgesetzt sind.

Der letzte der großen Eleaten, Melissos von Samos (Mitte des 5. Jahrhunderts), zeigt, daß man als Eleate auch schwach im Argumentieren sein konnte. Es gibt nach ihm ein Sein; "wie käme man sonst dazu, von einem solchen zu reden; alles Reden und Denken bezieht sich immer auf ein Sein". Wir würden sagen, Melissos geht vom common sense aus, oder, wie Aristoteles sich ausdrücken würde, von den Endoxa, von dem, was in der gewöhnlichen Meinung, ohne tiefere Untersuchung, als wahr angenommen wird. Dafür, daß dieses Sein ewig, ohne Anfang und Ende sei, beruft sich Melissos darauf, daß das Gegenteil undenkbar sei, er behauptet also von allem Sein, was nur etwa so ausgedrückt werden müßte: nicht alles Sein kann erst entstanden sein. Dieses ewige Sein, weil ohne Anfang und Ende, ist nach Melissos ebendamit von unendlicher Größe; diese Folgerung aus der zeitlichen Anfangs- und Endlosigkeit auf die unendliche Größe hat Aristoteles mit Recht schwer getadelt; es kann etwas ewig sein, ohne überhaupt Größe zu haben. Erst aus der unendlichen Größe schließt Melissos auf die Einheit des Seins, denn "zwei Unendliche kann es nicht geben; als verschieden müßten sie voneinander getrennt sein, also Grenzen gegeneinander haben wären also nicht unendlich". Interessant ist, daß Melissos argumentiert: "auch dem Schmerz ist das Sein genommen; hätte es Schmerz, so müßte es seiner Einheit wegen ganz Schmerz sein, so etwas könnte aber nicht ewig sein". "Wären die Sinneswahrnehmungen wahr und richtig, so müßte das Wahrgenommene sich nicht verändern, sondern so bleiben, wie und wo es uns zuerst erschien. Dann wäre es nämlich entsprechend dem Begriff des Seienden. Die Veränderung zeigt die Unwahrheit der Sinnesdinge, denn da geht das Seiende verloren und das Nichtseiende wird, was beides vor dem Denken unmöglich ist." Diese Argumentation zeigt, worauf es den Eleaten ankam: ewiges unveränderliches Sein und dies konnte nicht Schmerz sein. Im Gedanken eines solchen war ihr Denken und ihr Gefühl zugleich beruhigt.

Bis hierher waren alle Lehren der betreffenden Männer zu berücksichtigen, weil man aus ihnen ersehen kann, wie Wissenschaft und Philosophie sich in ihren ersten Anfängen bei den Griechen entwickelten. Zur Wissenschaft gehören die Einzelauffassungen aus der Erfahrung bei allen diesen Männern, die Beobachtungen über Zahlen bei den Pythagoreern, das mächtige Gefühl vom Denken bei den Eleaten und seine Verwendung zur Kritik der Erfahrung, d. h. der Sinneserscheinungen selber. Zur Philosophie gehört der Zug, der bei allen ist, etwas Sicheres aufzustellen und mit diesem eine Gesamtweltansicht zu geben. Dieses Sichere aber ist bei diesen Männern verschieden: bei den erstbehandelten die Transformation eines Urelementes in die Mannigfaltigkeit der Erscheinungen, bei den Pythagoreern die Zahlenauffassung der Dinge verbunden mit Wertgefühlen, die sich ihnen an die Zahlen anschlossen, bei den Eleaten das Denken im Unterschied von den sinnlichen Erscheinungen mit der Richtung des Denkens auf etwas Ewiges und Unveränderliches, vor dem die Erscheinungen zu bloßem Schein, d. h. zu einem Nichtseienden gemacht werden, ohne daß man sich um die Herkunft dieses Scheins selbst kümmert. Es sind also von Anfang an ganz verschiedene Richtungen des Philosophierens und jede tritt, als müßte das nur so sein, mit genialer instinktiver Sicherheit auf. Von jetzt an können wir uns mehr an den Wissensbegriff als solchen halten, nur so, daß die Einzellehren, worin seine Eigentümlichhkeit besonders hervortritt, bemerkbar zu machen sind.
 


aus Julius Baumann, Der Wissensbegriff, Heidelberg 1908


Nota.

Die Überschrift ist irreführend, denn über das Wissen selbst hatten die Vorsokratiker ja nicht nachgedacht, sondern lediglich Meinungen gehabt, nämlich doch anscheinend alle mehr oder weniger die: dass es die Vernunft der Menschen sei, die über die Richtigkeit dieser oder jener Meinung zu entscheiden hat. Zwar hat keiner von ihnen ein Lehrgebäude aus Argumenten und Gegenargumenten errichtet, aber die Eleaten und der hier gar nicht erwähnte Heraklit polemisieren durchaus gelegentlich gegen widersprechende Auffassungen und geben mithin zu verstehen, dass man die richtige Meinung durch Prüfung der angeführten Gründe erkennt - und folglich das eigene Urteil die letzte Instanz des Denkens ist.

Wir nennen sie Vorsokratiker, weil der endgültige Durchbruch dann bei Sokrates erfolgt - jedenfalls bei dem 'Sokrates', den Plato in seinen Dialogen auftreten lässt. Die Dialogform, später als Dialektik formalisiert, ist selber ein Anführen, Prüfen und Beurteilen von Gründen. Ein Wissen, das daraus hervorgegangen ist, heißt επιστημη, epistêmê, im Unterschied zum bloßen Meinen, der δοξα, dóxa. 


Damit gilt der Übergang vom mythischen, vorphilosophischen Zeitalter zum Zeitalter der Wissenschaft als vollzogen, wenn auch bei Plato und Aristoteles und weit bis in die Neuzeit hinein mythische und selbst animistische Anschauungen immer und immer wieder ins Denken hineinspielen, selbst in die gegenwärtige Kosmologie. Das Entscheidende ist aber: In einem weltweiten System der Wissenschaft müssen sie sich allezeit einem nach Dauer und Ausdehnung grenzenlosen Dialog  stellen, in dem früher oder später Gründe den Ausschlag geben werden.
JE



Sonntag, 18. Januar 2015

Wissen ist nur im System möglich.


Wissen ist wahr, sofern es System ist. Es ist System, sofern es in einem Grundsatz zusammenhängt - so dass Jedes seinen Platz von allen Andern angewiesen bekommt und seinerseits allen andern ihren Platz anweist; sofern sie nämlich alle aus demselben Grundsatz folgen.*

Zuerst ist aber das reale Wissen dagewesen; jedes für sich. Der Satz bedeutet also in Wahrheit: Das in der Geschichte verstreut angesammelte Wissen wird wahres Wissen, wenn es zu einem System gebildet wird. Das wiederum ist nicht möglich, indem man "die Sammlung vervollständigt" - alle möglichen Wissenssätze ausfindig macht und zusammenstellt -, sondern indem man den jedem wirklichen Wissensakt zu Grunde liegenden "Grund"-Satz herausfindet. 

Wenn sich ein solcher Satz auffinden lässt, kann das Wissen zu einem System gebildet werden, 'in dem jedem Satz sein Platz von allen andern Sätzen angewiesen ist', bevor noch "jeder Satz" ausgesprochen wurde. Lässt sich zeigen, dass der aufgefundene Grund-Satz nicht bloß tatsächlich (summativ; das ginge ja gar nicht!), sondern notwendig allen Wissensakten zugrundeliegt, dann ist das Wissen "wahr" in dem Sinne, dass außer ihm nichts ge- wusst werden kann. Also - wenn es Wissen gibt (Wahrheit gibt), dann innerhalb dieses Systems. Wenn nicht innerhalb dieses Systems, dann überhaupt nicht (wovon man allerdings nichts wissen könnte).

*) Fichte, Über den Begriff der Wissenschaftslehre, SW I, S 57-62, 70ff.

aus e. Notizbuch, 26. 6. 03


Wissen ist entweder richtig - wenn es dazu taugt, die Operation auszuführen, die ich beabsichtige; oder es ist wahr - dann ist es end gültig: Es gilt unter allen möglichen Bedingungen. Was falsch und unwahr ist, gilt nicht als Wissen, sondern als Irrtum oder Lüge. 

Richtige Sätze gelten so lange, bis die Operationen, für die sie taugen sollen, erfolgreich abgeschlossen sind. Alle wahren Sätzen gelten über Raum und Zeit hinaus. Ihnen muss eines gemeinsam sein, das sie gelten macht; und in diesem Einen hängen sie miteinander zusammen. - Das ist ein Prämisse, die jeder, der sich auf eine vernünftige Erörterung einlässt, tatsächlich macht, und sei es stillschweigend oder gar unter der Behauptung, that anything goes.
JE


Samstag, 17. Januar 2015

Theoretisch und praktisch.


Das spezifisch Menschliche ist nicht die Möglichkeit der Erkenntnis, sondern die Notwendigkeit des Wertens. Der Mensch kann nein sagen heißt: er muss ja oder nein sagen. Er muss wählen. Dafür braucht er einen Grund. Den Grund muss er ansehen, als ob er seiner Wahl vorausgesetzt* war - weil er in der Zeit lebt. 

Erkennen heißt, die Eigenschaften einer Sache nach ihrer Tauglichkeit beurteilen. Das ist eine Fähigkeit alles Lebendigen. Allein der Mensch muss auch wissen, wozu sie ihm taugen soll.

aus e. Notizbuch, 28. 5. 03


*) ...er ihn also nicht selbst gesetzt, sondern aufgefunden hat. 

Auf dem Felde der Theorie ist der Mensch den Tieren nur graduell überlegen, und wenn es noch so weit ist. Im Praktischen ist er ihnen aber substanziell überlegen.



Freitag, 16. Januar 2015

Gehört 'meine Welt' in die Transzendentalphilosophie?

Rainer Häufele, pixelio.de

Die Unterscheidung von meiner und unserer Welt gehört offenbar - so wie die von Welt und Umwelt - in die philo- sophische Anthropologie. In die Psychologie gehört sie jedenfalls nicht, sie behauptet keinen empirischen Sach- verhalt, der sich experimentell nachweisen ließe, sondern postuliert einen Sinn.

Und wie ist es mit der Transzendentalphilosophie? Dass sie damit 'gar nichts zu tun' hätte, ist - ebenso offenbar - falsch. Denn jene ist die pragmatische Geschichte des menschlichen Geistes, nämlich des Geistes in seiner objekti- viertesten Gestalt, als Vernunft, und die beginnt da, wo unsere Welt beginnt,* vom gesunden Menschenverstand bis hin zu Molekularbiologie, Mikrophysik und Kosmologie. Das Ich setzt sich, indem es sich eine Welt entge- gensetzt - offenbar die Unsere und nicht die Seine.

Zumindest liegt also meine Welt an der Grenze der Transzendentalphilosophie. Und die Bestimmung ihrer Grenze wiederum gehört zur Transzendentalphilosophie selbst.

Donnerstag, 15. Januar 2015

Unsere Welt ist ein kollektives Phantasma.


wikimedia

'Wirklich' ist allein (!) das Erleben. - Ja, aber nun erlebt der eine dies, der andere jenes. Doch genau besehen, gibt es einen enormen Vorrat von 'Dingen', die wir alle gleich erleben, oder fast gleich, was in den meisten Lebensbereichen auf dasselbe hinauskommt. All das, was wir grosso modo gleich erleben, nennen wir gewohn- heitsmäßig "die Welt". Wohl wissend, aber ungern oder gar nicht bedenkend, dass es in meinem Erleben einen kleinen privaten Sonderposten gibt, der - weil nur das Erleben wirklich ist, und alles Erleben! - doch auch wirklich ist, also auch zur Welt gehört, aber nicht wirklich, nicht "für die andern"; dass also insgeheim meine Welt immer ein bisschen wirklicher ist als die der andern, wenn  jene auch den Schein der Übermacht für sich hat. -

Zweck der Schule ist es, mir den richtigen Eindruck von der Priorität 'meiner' Welt vor der Welt 'der andern' auszutreiben - und den andern ebenso: "Wirklich" soll nur das überprüfbar gemeinsame Erleben sein; und wirk- lich wirklich auch nur das restlos gleiche, das von der Wissenschaft als ein solches festgestellte. Das ist aber, ge- messen an dem, was alle-zusammen-jeder-für-sich erlebt hat, nur ganz wenig. Das ist dann das wirklich-Wirk- liche mit dem psychisch  'Normalen' als seinem Hof (so wie der Mond einen Hof hat); und noch weiter weg vom Kern dann die individuellen Phantasmata. -

Dies alles ist nun aber überhaupt nur nötig, weil wir zusammen arbeiten müssen. Denn dann reicht es nicht, dass wir uns von unserm jeweiligen Erleben nur erzählen; wir müssen uns darüber einigen können.

aus e. Notizbuch, 30. 12. 03


Das ist also die Stelle, wo mir erstmals eingefallen ist, 'meine' Welt von 'unserer' Welt systematisch zu unter- scheiden. Dass die Eigenwelt des Irren sich zur realen Welt der Normalen verhält wie ein privates Phantasma zu einem kollektiven, und dass der Vorzug des letzteren ein lediglich pragmatischer ist, war mir durch meine Erwerbstätigkeit klargeworden. Aber auch, dass der Irre nur eine Extremvariante der Normalen ist. Dass also wir ebenfalls in einem Zwiespalt zwischen meiner Welt und unserer leben und uns vom Narren graduell nur dadurch unterscheiden, dass wir uns zwischen beiden in einem Gleichgewicht halten. 




Mittwoch, 14. Januar 2015

Was uns der Irrsinn über den Sinn lehrt.


Die herkömmliche Diskussion Welt/Umwelt (Pleßner: der Mensch lebt in einer Umwelt vor dem Horizont der Welt) krankt daran, dass beides, Welt und Umwelt, als zwei Obiectiva  genommen wurden. Aber der Umwelt-Begriff von Uexkülls zielt nicht auf den faktischen, sondern auf den Bedeutungs-Bestand der (jeweiligen) Um- welten ab (was wäre denn eine 'faktische' Umwelt vor einer 'bedeutenden'?!).

Ebenso wie die 'geschlossene' Umwelt ist die "offene" Welt ein Raum von Bedeutungen; aber eben kein ge- schlossener, sondern "offener" - d. h. gar keine Gegend, sondern nur ihr Horizont. Wenn das aber so ist, dann ist sie ein unbestimmter Raum - einer, dessen Grenze "zurückweicht, je näher man ihr kommt". Das heißt in der Umkehrung: die Bedeutungen 'in' diesem Raum sind nur provisorisch, hypothetisch, virtuell, latent "bestimmt" - in suspense. Damit sie gelten können, muss ich ihre Gültigkeit für mich je "aktualisieren".

Dass daher 'unsere Welt' vor 'meiner Welt' ontologischen Vorrang habe, ist eine optische Täuschung (weil jene währt, diese nicht). Nennen wir 'unsere Welt' mit Dilthey 'objektiven Geist', dann kann ich auch 'Dinge' dar- unter verstehen - z. B. Institutionen; die haben eine 'dingliche Seite', das ist das Objektive daran. Aber objekti- ver Geist sind sie nur insofern, als ich (oder ein anderes Ich) ihre Bedeutung für mich realisiere; ihre Latenz ent/decke. 'Meine Welt' ist diejenige Instanz,  die 'unsere Welt' immer erst zur Wirklichkeit bringt (dýnamis/enér- geia). 

'Unsere Welt' ist in ihrer Wirklichkeit die "Schnittmenge" all dessen, was historisch daseiende Menschen aus dem Arsenal möglicher gegebener Bedeutungen in ihre Privatwelten aufgenommen haben; und worüber sie ipso facto kommunizieren, "sich verständigen" können. Historisch ist der 'objektive Geist' eher da als die privaten Welten. Aber ontologisch ist "meine Welt" eher da. 

Der Beweis?

Es kann Privatwelten geben ohne jeglichen Anteil von 'objektivem Geist' (das würden wir Irrsinn nennen); aber es gibt ein 'objektive' Welt nicht ohne die, nicht außerhalb der Privatwelten der historischen Individuen.

16. 10. 03