Mittwoch, 9. März 2016

Die Laborsituation ist kontingent.

  
Die Laborsituation ist selber kontingent. Nichts ist notwendig im wirklichen Leben, auch keine Wissenschaft. Zu der muss man sich erst entschließen. Daher gab es sie auch nicht immer.

aus e. Notizbuch, im Mai 2009


Nachtrag 

Die Laborsituation verhält sich zur Wirklichkeit so wie der Begriff zum täglichen Leben – als eine Ausnahme von der Regel.

23. 19. 2014




Dienstag, 8. März 2016

"Geist = Absicht"...


...heißt es bei Fr. Schlegel, und wo er keine solche findet, da sucht er nach dem, was fehlt. 

Absicht ist die Meinung, dass Etwas (etwas) besser sei als nichts (nicht-Etwas), ein Bestimmtes besser sei als ein Unbestimmtes.

Der Witz ist, dass die Menschen den Geist jetzt einmal haben; und wo er nichts findet, worauf er sich verwenden kann, da denkt er sich etwas.

Geist ist das Vermögen, die Bedeutungs-Lücke aufzufüllen, nachdem er aus der Umwelt, wo alles seine Bedeutung hatte, in die Welt aufgebrochen ist, wo alles, was ihm begegnet, eine Bedeutung erst noch braucht.

aus e. Notizbuch, 26. 10. 2000

Montag, 7. März 2016

Der Ur-Sprung des Menschen.



Seine Befähigung zum Verneinen schuldet er dem Umstand, dass er zum Fragen verurteilt ist. Die Fähigkeit zu fragen fordert seine Einbildungskraft heraus (quale?); die Möglichkeit der Verneinens erzwingt die Reflexion: entscheiden, ob ja oder nein.

aus e. Notizbuch, 16. 5. 07



Freitag, 4. März 2016

Gewärtigkeit – eine Revolution in Permanenz.

Riesenrad; Wien, Prater

Wir nehmen keine Erscheinungen wahr. Wir nehmen keine Bedeutungen wahr. Wir nehmen Dieses oder Das wahr. Was ist Dies oder Das? Eine Erscheinung, die etwas bedeutet. Könnte sie mir nichts bedeuten, würde sie mir nicht erscheinen. 

Die Unterscheidung geschieht nicht in der Anschauung, sondern in der Reflexion. Wahrnehmung ist das Produkt beider. Die Reflexion rechnet auf eine Bedeutung. Wenn sie keine erkennen kann, fragt sie; sogar, wenn sie döst. Reflexion ist Absicht.

In seiner Wirklichkeit ist unser Wahrnehmen kein linearer Ablauf in Stufenfolge – erst anschauen, dann reflektieren, dann wahrnehmen in specie; oder andersrum. Sondern, wie die zeitgenössische Hirnforschung nahelegt, ein systemischer Prozess “in Permanenz”. Es wird nicht erst diese, dann jene und schließlich eine dritte Hirnregion aktiv, sondern sie interagieren “apriori”; und sie warten regelrecht darauf, zu tun zu kriegen, sie suchen sich ihren Stoff. Darum spielt es auch keine Rolle, welche der jeweils beteiligten Regionen stammesgeschichtlich die ältere und welche die jüngere ist. Heute agieren sie allezeit uno actu als Ein Ganzes System.

So geschieht das Bewerten des unmittelbar durch die Sinnesreize Gegebenen – was man das ‚ästhetische Erleben’ nennen könnte – gleichzeitig in mehreren Hirnarealen, insbesondere dem Limbischen System, das aus mehreren entwicklungsgeschichtlich sehr alten Teilen besteht, und der als Gustatorischer Cortex bezeichneten ‚Inselrinde’, die in der entwicklungsgeschichtlich viel jüngeren Fissura Lateralis liegt. Und zugleich spielen in noch immer unverstandener Weise die Reaktionen des Plexus solaris hinein, der überhaupt nicht zum Zentralen System gehört, sondern aus einem Nervenknoten in der Bauchhöhle besteht  – und insofern „uralt“ ist.

Wenn also Baumgarten seinerzeit das ästhetische Erleben als das „niedere“ Erkenntnisvermögen bezeichnet hat, war das in neurophysiologischer Hinsicht grundfalsch. Es spielt in die „höheren“ Erkenntnisvorgänge jederzeit hinein, so wie jene in diese.

Aber in philosophischer Hinsicht ist es diskutabel. Die Philosophie betrachtet das Wissen – als Inbegriff all unseres Gewärtigseins – nicht in seinem physiologischen oder psychologischen Vorkommen, sondern nach seinem logischen Aufbau. Logisch kommt von logos, und bezeichnet alles auf Sinn und Vernünftigkeit Bezogene (und nicht lediglich die Regeln des korrekten Schlussfolgerns). Zwar ist auch in logischer Hinsicht das Wissen (wenn es da ist) jederzeit ‚ganz und auf einmal’ da. Aber zugleich ist es ‚geworden’.

Allein in logischer Hinsicht folgt notwendig eines aus dem andern, nur in logischer Hinsicht gibt es ‚Begründung’ (und in der Naturwissenschaft wird die Vorstellung der Kausalität nur‚sozusagen’ verwendet, zu heuristischen Zwecken). In logischer Hinsicht ‚gibt es’ also zuerst und danach. Da müssen die Sinnesreize zuerst ‚da’ sein, bevor sie ‚gemerkt’, und gemerkt werden, bevor die ‚gewertet’ werden können. Die logisch-genetische Betrachtung ist etwas anderes als die historisch-empirische.

Allerdings ist in logischer Hinsicht die Begründungskette umkehrbar (was sie in der Naturwissenschaft, wo Begründung nur ‚sozusagen’ vorkommt, nicht ist). Wenn das eine notwendig das andere zur Folge hat, dann hat das andere notwendig das eine als Grund. Mit andern Worten, der Schluss ‚begründet’  in logischer Hinsicht den Anfang ebenso, wie jener ihn. Stellen wir uns das Wissen als einen unbegrenzten Prozess vor – was es genetisch sicher ebenso ist wie historisch , dann ist das wirkliche Wissen eine endlose Umbegründung alles wechselseitig Begründeten.

Das Gewärtigsein ist, wenn alles klappt, eine Revolution in Permanenz.

Dass alles klappt, ist in Ansehung unserer engen bürgerlichen Verhältnisse selten. Das ist schlecht für die Verhältnisse.

24. 8. 2013





Donnerstag, 3. März 2016

Mein Vermögen ist Eins.

Thomas Klauer  / pixelio.de 


Mein Vermögen ist einsalles, was ich kann. Ob es phylogenetisch oder ontogenetisch bedingt ist, ob es mir angestammt wurde oder ob ich es spontan und individuell erworben habe, merkt man ihm selbst nicht an.

Verschieden sind die Gegenstände, auf die ich es anwende, und verschieden wohl auch die Weisen der Anwendung. Ähnliche Anwendungsweisen schaffen Ähnlichkeiten zwischen Gegenständen, die ich so zu Klassen zu- sammenfassen kann.

Bin ich soweit einmal gekommen, mag es aussehen, als sei mein Vermögen selbst in Klassen unterschieden. Namentlich in ein Erkenntnisvermögen, durch das ich mit Hilfe von Begriffen an den Gegenständen meine Zwecke realisiere, und eine zweckfreie Anwendung, die 'ohne Interesse gefällt'. Letztere fasse ich auf als mein ästhetisches Vermögen. Ob und wie das eine oder das andere in Anspruch genommen wurde, lässt sich immer erst am einzelnen Fall und nachträglich unterscheiden. 


2. September 2013




Mittwoch, 2. März 2016

Transzendentalphilosophie handelt vom wirklichen Ich.

Daniel Stricker, pixelio.de

"Glaubt der Mann, in Anthropologie und Humanbiologie Evidenzen für die Richtigkeit der Trans-zendentalphilosophie zu finden?" schrieb einmal ein kritischer Geist. 

Der Mann war ich. 

Allerdings ist die Klärung des Verhältnisses von Wissenschaftslehre und Anthropologie mein trei-bendes Thema. Und natürlich, wie könnte es anders sein, geht es um das Ich. Das transzendentale oder absolute Ich – das gedachte Subjekt der Tathandlung – als positive Größe in die Anthropologie einbauen wollen wäre allerdings sinnlos; denn dann bliebe es nicht transzendental, und die ganze Übung wäre für die Katz.

Aber mit dem Ich 'als Idee' * sieht es schon anders aus. Denn das stammt nicht aus der Transzenden-talphilosophie, sondern aus der Realgeschichte der Mentalitäten. Es war da vor der Wissenschafts-lehre. Es ist das autonome Subjekt der bürgerlichen Welt in idealer Gestalt. Genetisch geht die Wissenschaftslehre von der Tathandlung zum Ich als Idee. Aber historisch ist das Ich als Idee das Motiv der ganzen Transzendentalphilosophie. Die Wissenschaftslehre "soll sein die pragmatische Geschich-te des menschlichen Geistes" – nicht eine Nacherzählung, 'wie es gewesen ist', sondern eine Darstel-lung, aus der man etwas begreift; nämlich einen Sinn.

Die Frage nach dem Sinn stammt (logisch) allerdings aus der Anthropologie. Nicht Anthropologie und Humanmedizin bieten Evidenzen für die Richtigkeit der Transzendentalphilosophie – richtig in Hinsicht worauf? –, sondern die Transzendentalphilosophie gibt der Anthropologie den festen, weil kritisch bereinigten Boden, auf dem sie bauen kann. 

Und ehrlich muss ich auch sagen  anders wäre mir die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Transzen-dentalphilosophie ganz gleichgültig.

*) siehe SW I, S. 517

Nota.  Falls es jemand wissen will: Transzendentalphilosophie und Wissenschaftslehre bedeuten bei mir dasselbe.

2. 11. 2013

Dienstag, 1. März 2016

Das Ich ist hassenswert.

  

Ameisenlöwe

23. Das Ich ist hassenswerth und so sind diejenigen immer hassenswerth, die es nicht wegräumen, sondern die sich begnügen es nur zu verhüllen. »Keineswegs, werdet ihr sagen, denn wenn wir handeln, wie wir thun, dienstfertig gegen alle Welt, so hat man keinen Grund uns zu hassen.« Das ist wahr; wenn wir in dem Ich nichts mehr haßten als das Mißvergnügen, was uns von demselben herkommt. Aber wenn ich es hasse, weil es ungerecht ist und sich zum Mittelpunkt von allem macht, so muß ich es immer hassen.

Mit einem Wort, das Ich hat zwei Eigenschaften: es ist ungerecht an sich darin, daß es sich zum Mittelpunkt von allem macht, es ist den andern lästig darin, daß es sich dienstbar machen will; denn jedes Ich ist der Feind und wäre gern der Tyrann von allen andern.  

Ihr nehmt daraus das Lästigsein weg und nicht die Ungerechtigkeit und so macht ihr es noch nicht liebenswürdig für die, welche daran die Ungerechtigkeit hassen, sondern nur für die Ungerechten, die darin nicht mehr ihren Feind sehen und so bleibt ihr ungerecht und könnt auch nur den Ungerechten gefallen.
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Blaise Pascal, Pascal's Gedanken über die Religion und einige andere Gegenstände. Berlin 1840, S. 178