Dienstag, 26. April 2016

Der Verruf der Rhetorik begann mit der Gutenberg-Revolution.


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Dem heutigen Leser ist es befremdlich, dass im antiken Bildungskanon Rhetorik gleichrangig neben Logik und Grammatik stand. Unter Rhetorik versteht er die Kunst, durch geschickte Wortwahl den Hörer für richtig halten zu machen, was falsch ist. Dabei war sie ursprünglich die Kunst, den Hörer genau das verstehen zu lassen, was der Redner gemeint hat; was ein gegebner Redner einem gegebnen Publikum zu verstehen geben wollte. Ihr Kriterium war gar nicht das an sich Richtige, sondern das, was das redende Subjekt gemeint hat.

Das war zu einer Zeit, als an etwas, das objektiver wäre, noch gar nicht zu denken war. Scriptura, "die Schrift", war eo ipso die Heilige: die Bibel gab es in Schriftform, es gab sie überall, wo eine Kirche stand, sie war überall dieselbe, aber nur die Priester der Römischen Kirche konnten sie entziffern und -
 nur sie konnten sie zur Hand nehmen. Allein sie war das Wort, war Maßstab der gesprochenen Wörter. 

Außerhalb der Gelehrtenrepublik und ihrer Korrespondenzen gab es nur das lebendige, das gesprochene Wort. Wie es gesprochen wurde war das aufgegebene und allgegenwärtige Problem. Maßstab war, ob es so verstanden wurde, wie es gemeint war. Die Idee, nach einem Objektivum zu suchen, konnte niemandem einfallen; es sei denn, man hätte einen hierarchisch Oberen herbeigerufen, der von Amts wegen der Wahrheit näher stand - doch auch der hätte sich mündlich mitteilen müssen: rhetorisch.

Am Anfang war das Wort, nämlich das gesprochene Wort. Die Niederschrift war nicht originär, sondern bloß eine Rückversicherung; denn das Gedächtnis kann irren.

Mit der Gutenberg-Revolution hat sich dieses Verhältnis umgekehrt. Was die Worte an sich bedeuten, ist festgehalten in der Schrift, und die ist öffentlich: jedermann zugänglich im gedruckten Buch (oder der Zeitung!), nicht nur dem zufälligen kleinen Kreis der Hörer hier und jetzt. Man wird darüber streiten können, auch noch in kommenden Generationen, man kann sich Zeit lassen und zum Vergleich andere Bücher heranziehen. 

Bedeutung ist nunmehr objektiv. Das geschriebene Wort ist den Umständen von Raum und Zeit entzogen und subjektive Unterschiede im Textverständnis lassen sich im Diskurs ausgleichen. Es kann sogar die Idee aufkommen, die Bedeutung der Wörter ließe sich ihrer alltäglichen Verwendung entziehen und auf einen 'analytisch' freizulegenden Atomkern reduzieren! Und was immer die Rhetorik diesem endgültig identifizierten Sinnkern hinzufügt, kann nur falsch sein. Am besten wäre es, man könnte die Schrift ihrerseits zu mathematischen Symbolen reduzieren...

All das ist eine Errungenschaft des Gutenberg'schen Zeitalters. Es ist die Dialektik der digitalen Revolution, dass sie mit der Zerlegung der Welt in I und 0 zugleich die analogen Bilder und die rhetorischen Blumen zu neuer Blüte treibt. Die Trivialisierung und Profanierung des Geschriebenen, das ursprünglich nur den Heiligen Worten zugedacht war, nährt den Verdacht, dass das, was zu sagen eigentlich wichtig wäre, doch nur in anschaulicher Weise gesagt werden kann.





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