Dienstag, 28. Juni 2016

Gab es denn eine wissenschaftliche Revolution im 17. Jahrhundert?

Newton; aus dem Ms. der Optik

So manche liebgewordene Selbstverständlichkeit aus unsern Schultagen ist in den vergangenen Jahrzehnten "auf den Prüfstand gekommen"; meist mit dem Ergebnis, dass in Wahrheit 'alles doch ein bisschen komplizier-ter' ist. Das ist wirklich nicht überflüssig, gerade die Binsenweisheiten müssen immer wieder überprüft und gegebenenfalls wieder neu ausgesprochen werden. Doch auch die Kritik bedarf der kritischen Sichtung, nichts ist nur deshalb klug, weil es neu ist.

Dass der Charakter und die Folgen der wissenschaftlichen Revolution des 17. Jahrhunderts nicht ganz genau die waren, von denen unsere Schulweisheit geträumt hat, ist glücklich selbst zu einer Binsenweisheit geworden. Und die kann man, wie alles Gute, auch übertreiben. Zum Beispiel: Ob es sie überhaupt gab; oder ob sie nicht vielleicht erst im 19. Jahrhundert...? So unlängst im Potsdamer Einstein-Forum.


Das habe ich kommentiert:

Der Siegeszug der Wissenschaften im 17. Jahrhundert sei "das politische Ereignis par excellence" gewesen, schrieb ich andernorts, er hat im Reich der Parteienkämpfe ein - kontinuierlich wachsendes - Feld geschaffen, wo nicht länger der Stärkere entscheidet, sondern der geprüfte Grund

Wenn auch faktisch die Physik die treibende Kraft war, betraf diese 'Wissenschaftliche Revolution' nicht bloß die Naturwissenschaften im Besondern, sondern die Geisteshaltung einer ganzen Zivilisation: Als rational gilt seither nur noch solche Erkenntnis, die eine Erscheinung als Wirkung einer Ursache darstellen kann; und zwar ein geschichtliches Ereignis nicht minder als ein Laborexperiment. Auch politische Probleme sollten seither, so weit irgend möglich, durch Vernunft lösbar sein, ohne Waffen. (Der Aufstieg der Wissenschaften begann nach dem Ende des 30jährigen Kriegs und der englischen Revolution - in der Hoffnung auf ewigen Frieden, nach-dem die Religion Ewige Zwietracht gesät hatte.) 

Allerdings beschränkte er sich auf den (seither stetig wachsenden) engen Kreis der Gelehrten.

Dass es sich im Besondern um Naturgesetze handeln sollte, wurde erst im Lauf des 19. Jahrhunderts deutlich, als die Siege der Exakten Wissenschaften in Gestalt der technisch-industriellen Revolution auch den Durch-schnittsmenschen anzugehen begannen. Dass es für alles einen hinreichend Grund geben müsse, scheidet seither den gesunden Menschenverstand von allen Arten des Irrsinns. (Und seither gewinnen die 'Geisteswis-senschaften' ihr eigenes Profil, weil sie sich gegen die 'harten' Fächer legitimieren müssen.) 

Doch das Dogma der Kausalität ist inzwischen zu einem - pragmatisch vertretbaren - Aberglauben des Gesun-den Menschenverstands herabgesunken; es begann mit den Revolutionen der Thermodynamik und hat mit der Quantenphysik einen einstweilen Höhe-, aber längst keinen Schlusspunkt gefunden. 

Dass die exakten alias 'Natur'-Wissenschaften an ihren Grundlagen zu zweifeln beginnen, ist löblich, aber auch das mindeste, was man erwarten darf. Nun wenden sie sich in neuer Bescheidenheit an die 'weiche' Philosophie zurück. Wobei sie viel Zeit sparen können, wenn sie sich erinnern, dass die Philosophie ihnen schon vor zwei-hundert Jahren in Bescheidenheit vorangegangen ist und sich mit Kants Kopernikanischer Wende selber die Schranken gezogen hat, die sie von den Realwissenschaften trennen - und die Realwissenschaften von ihr! Erkenntnisfortschritt können beide nur erhoffen, wenn sie die Schranken klug beachten und nicht "interdiszi-plinär" wieder alles miteinander verrühren. Wenn ihr Interesse eben der Andersheit des andern gilt und sie Konsens und Gemeinsamkeit den profanen Alltagsmenschen überlassen.




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