Donnerstag, 27. Oktober 2016

Positio und negatio, oder: Gibt es denn Wahrheit?


 
Wahr kann offenbar kein Ding oder Sachverhalt sein, sondern lediglich das Verhältnis meiner Vorstellung zu ihm. Die Frage, ob es Wahrheit der Vorstellung geben könnte, setzt also voraus, dass ich mir von der Wahrheit der Vorstellung eine Vorstellung bereits gemacht habe; ich kann also nicht mehr fragen, ob das möglich war. Ich kann immer nur fragen, ob diese Vorstellung wahr ist.

Mit andern Worten, positio und negatio sind nicht logisch gleichrangig - und daher ontologisch schon gar nicht.

(Ein Ding wird nicht gesetzt. Es wird vorgefunden. Das Vorgefundene wird bestimmt. Bestimmen heißt: Setzen seiner Bedeutung. Bedeutung ist kein Sachverhalt, sondern ein idealer Akt. Ein idealer Akt muss als ein solcher gesetzt worden sein, bevor er negiert werden kann. Es gibt den Modus ponens ohne darauffolgenden Modus tollens, aber keinen Modus tollens ohne vorangegangenen Modus ponens.)


Mittwoch, 26. Oktober 2016

Das theoretische Modell.




Das theoretische Modell ist dazu da, in einer Sache ihren Sinn freizulegen. Wenn man sieht, wie sie funktioniert und welche Resultate sie erbringt, wenn man Kontingenz ausscheidet und sie auf sich selbst reduziert, so mag man darin einen Zweck erkennen, der sich mit den Zwecken vergleichen lässt, die man selber verfolgt: Danach wird man die Sache bewerten.

Wenn dies nicht die Absicht ist, wenn man nicht bewerten und verwerten will, und sei es zu Erkenntniszwek- ken, kann man kein Modell entwerfen.

Merke: Ohne eine solche Absicht lässt sich eine Sache gar nicht als 'sie selbst' bestimmen; nicht unterscheiden, was dazu gehört und was kontingent ist.

Montag, 24. Oktober 2016

Das Sittengesetz gebietet nur negativ.


Judas
 
Es ist doch merkwürdig - in seiner Wirklichkeit gebietet das Sittengesetz immer nur negativ: Tu nicht dies, lasse dies nicht zu, weil du sonst Schuld auf dich lädst.

Wie könnte das positiv denn lauten? Tu dies, damit... ? Damit du nicht seist wie jene? So gebietet nicht das Sittengesetz, sondern der Hochmut der Pharisäer.

Auch in seinen besten Momenten sagt das Sittengesetz noch: Unterlasse nicht, ...

Das radikal Böse im Menschen sei seine Fähigkeit, nicht zu tun, was er als seine Pflicht erkannt hat, sagt Kant. Praktisch ist es aber umgekehrt. Es ist seine Fähigkeit, zu tun, was er als schuldhaft erkannt hat. Kriterium der Sittlichkeit ist nicht die Pflicht, sondern die Schuld. Nämlich Dinge für möglich zu halten, die schwerer wögen.





Sonntag, 23. Oktober 2016

Zwei Arten, vom Begriff zu reden.



Ein Thema der gegenständlichen (reellen) Philosophie ist, wie und wozu die Begriffe zu verwenden sind.
Das ist nicht Sache der Transzendentalphilosophie. Die fragt, wie und woher Begriffe entstehen.






Dienstag, 18. Oktober 2016

Vernunft ist die Überkompensation eines Mangels.


Die Bedeutungen der Urwaldnische waren an den Erhaltungswert gebunden.
Der Mangel an Bedeutungen in der offenen Welt ist nicht an den Erhaltungswert gebunden.

aus e. Notizbuch, Frühjahr 2010


Das ist der Schlüssel zum Verständnis der Hominisation und der Schlüssel zum Mysterium der Vernunft. Nicht der Verstand ist das spezifisch Menschliche; tierische Intelligenzen reichen da nah heran. Hinzu kam die Fähigkeit, Zwecke zu setzen: wahrnehmen und wägen von Werten: Vernunft. 

Wertnehmen ist das Erfinden von etwas vorher-nie-Dagewesenem. In der Umwelt des Tieres gibt es nur einen Wert - Erhaltung; also keinen: von Werten kann erst die Rede sein, sobald ich wählen kann. Doch gegeben war nun auch der nicht mehr. Aber geführt werden musste das Leben, weil die 'Welt' in der Savanne offen war. Das war die Stunde der produktiven Einbildungskraft. Musste sie entstehen? Nein, aber sie konnte. Und dass die Familie Homo bis heute überlebt, bezeugt, dass sie entstanden ist.

31. 10 14

 

Freitag, 14. Oktober 2016

Analog anschauen, digital repräsentieren, II.


Uwe Steinbrich  / pixelio.de

Der analoge Modus ist der Modus der Anschauung. Er ist nicht "positiv": Positiv ist erst das Setzen eines Was als Dieses. Um das Erscheinende der Anschauung als ein Dieses zu fassen, bedarf es der Verneinung; determinatio est negatio. Es müsste gefasst werden als 'nicht-alles-Andere'. Das lässt sich nicht anschauen, weil es das Paradox einer 'unendlichen Menge' ist: Das Unendliche lässt sich nicht anschauen. Es muss verendlicht werden zu 'nicht-Dieses'. - Also ist das Was der Anschauung selber zu bestimmen: Das Dieses muss selber 'gefasst' werden: Es muss 'vorgestellt' werden; durch Negation, d. h. Übergang in den digitalen Modus. Die Vorstellung ist die (qua Negation) digitalisierte Anschauung. 

Das Tier kann anschauen, aber mangels Digitalisierung nicht vorstellen.

2. 11. 08

Nota. - Das ist realistisch zu verstehen, nicht transzendental: Das Was, von dem hier die Rede ist, ist ein Vorge- fundenes, kein Hervorgebrachtes.




Donnerstag, 13. Oktober 2016

In der Welt sein.



Altdorfer, Alexanderschlacht, Ausschnitt                                                                                         aus Über Ästhetik, Rohentwurf; 10.

Die Welt (wereld: dort, wo die Menschen sind) ist eher da als die "Umwelt"! Der Mensch ist nicht nur das einzige Lebewesen, das "Welt hat", sondern auch das einzige, das 'von Natur' keine Umwelt hat (hat Pleßner übersehen). Nämlich seit er seinen heimischen Regenwald verlassen und in die offene Savanne "übergelaufen" ist und eine vagante Lebensweise angenommen hat: Die Savanne ist ihm keine "Umwelt", ist keine "Nische" [er hat sich ihr nicht durch 'natürliche Zuchtwahl' evolutiv angepaßt], sondern der Weg zwischen den möglichen Nischen; Zwischenraum, in dem er sich immer nur vorübergehend niederläßt, aber nicht einrichtet! In ihr bleibt er immer "fremd", aber in unbestimmter Weise, weil er den bestimmenden Gegensatz "Zuhause" (noch) gar nicht (mehr) kennt. [Erste (?) Fixpunkte: die rituell genutzten und bemalten Höhlen! Auch erste "Kunst": Ästhetik jenseits der alltäglichen 'Welt'...] 

- Eine 'Umwelt', in die er 'hineinpaßt', weil er hinein gehört, muß er sich erst selber schaffen: Seßhaftigkeit, Acker- bau, Arbeit! Retour à la case départ: Dort, wo er arbeitet, ist die Welt bestimmt, oder immerhin bestimmbar. Was jenseits der Arbeit ("Praxis") liegt, läßt sich allenfalls betrachten ("Theorie"!); welches die ästhetische Anschau- ungsweise ist.
 
Die Vorstellung des positivistischen Jahrhunderts: den Raum der Arbeit ausdehnen, bis er mit den Grenzen der Welt zusammenfällt; "Entzauberung", sagt Max Weber. Die Welt aneignen: Zu meiner Umwelt fungibilisieren; "bestimmen". (DDR!)

Daniel Naumann, pixelio.de

Und was nicht-bestimmbar ist, läßt sich nicht ex ante definieren, sondern nur ex post praktisch erweisen, negativ: indem man das Bestimmen versucht und daran scheitert. Was das Ästhetische sei, "zeigt sich"... Zuerst war die Welt nur unbestimmt. Ihren Rätselcharakter gewinnt sie mit fortschreitender Bestimmung - als der widerständige Rest, caput mortuum; und der wird eo ipso immer bestimmter - als unbestimmt; d. h. als Rätsel...



Mittwoch, 12. Oktober 2016

Dienstag, 11. Oktober 2016

Wo der Geist herkommt.


wasserspiegelung_kl 

Die Besonderheit des Menschen ist es nicht, dass für ihn die Dinge neben ihrem Dasein in Raum und Zeit auch noch eine Bedeutung haben – das haben sie für die Tiere auch. Sondern dass er beides unterscheiden kann – und so die Bedeutung jenseits von Raum und Zeit und übersinnlich erscheint.  

Geist ist ein  Spaltprodukt. 

1. 13. 09

Sonntag, 9. Oktober 2016

Mit dem Kopf kommt man durch die Wand, womit denn sonst?


Matteo Pugliese

Mit dem Kopf kommt man durch die Wand, womit denn sonst?

Wenn dir einer was anderes sagt, glaub mir's, dann gehts ihm nicht um deinen Kopf, sondern um die Unver- sehrtheit der Wand. Du tust gut daran, ihn für einen Gegner zu halten.

Wenn man nicht mit dem Kopf zuerst durch war, wie will man die Schultern und all den Rest hinterherziehen? Im Kopf hast du die Schärfe und Findigkeit, die die schwachen Stellen erkennen und die deinen Händen und Füßen sagen, wohin sie hauen und treten sollen. Mit dem Kopf musst du durch die Wand, wozu hast du ihn denn?





Samstag, 8. Oktober 2016

Mit dem Kopf durch die Wand.



Objektiv, nämlich aus Sicht eines unbeteiligten Andern, sieht es so aus: Ich will mit dem Kopf durch die Wand, und das tut weh. 

Aber in meinem Bewusstsein geht es anders vor: Aus dem Schmerz schließe ich, dass da, wo ich mit dem Kopf durchwollte, eine Wand ist.

Das erste ist die Sicht des gesunden Menschenverstands, der mich von außen betrachtet. Das zweite ist die Sicht der Transzendentalphilosophie, die in mich hinein, hindurch und gewissermaßen hinter mich blickt.



Donnerstag, 6. Oktober 2016

Ist Sprache Natur oder Kultur?



Was immer Sprache sonst noch ist, sie ist auch ein artikuliertes System von Symbolen. Ein Symbol symbolisiert etwas, sonst ist es keins. Was ist dieses Etwas? Es ist die Bedeutung des Symbols. Ein Symbol gibt es nicht ohne Bedeutung. Aber gibt es Bedeutungen ohne Symbole? Aber ja, so ist es in unserm alltäglichen Denken. Bedeu- tungen scheinen auf im Gedankenstrom, verbinden sich mit den darauf folgenden zu neuen, komplexeren Be- deutungen, und so fort. Wenn ich nicht absichtlich darauf merke, ziehen sie an mir vorbei bis an den Punkt, 'auf den ich hinauswollte': das Denkergebnis. Wenn ich das erfassen, behalten und prüfen will, dann allerdings brauche ich ein Symbol. Erst das Symbol macht eine Bedeutung fungibel, und das bedeutet letzten Endes nichts weiter als: bedeutend, denn eine Bedeutung, mit der sich nichts anfangen lässt, ist keine.

Historisch wird es sich so zugetragen haben, dass sich Bedeutungen und ihre Wortsymbole in einem systemi- schen Prozess miteinander und auseinander entwickelt haben - das Ganze hat schließlich eine Vorgeschichte von einigen Millionen Jahren. Da ist die Frage, ob das Ei früher da war als die Henne, sinnlos. Aber genetisch ist die Antwort eine ganz andere: Sie mögen sich gleichzeitig und zusammen entwickelt haben; aber die Wort- symbole um der Bedeutungen willen, und nicht umgekehrt.

siehe:


Dienstag, 4. Oktober 2016

Reflektieren ist bilden.


uschi dreiucker, pixelio.de
 

Unterscheiden zwischen 'der Sache' und ihrer 'Bedeutung' ist Reflexion. Es setzt voraus, dass die Bedeutungen der Sachen nicht schlechterdings gegeben sind, sondern erfragt werden mussten. 

Die Emergenz der Reflexion ist also nicht verschieden von der Emergenz der Vorstellung selbst. Nämlich von der Anschauung, die von der Einbildungskraft als diese fixiert und ins Gedächtnis aufgehoben wurde. Die Vor- stellung verdoppelt die Sache zu einem Bild der Sache, das von ihr unterschieden und unter einem Zeichen archi- viert werden kann. Das wiedergefundene Bild bedeutet die Sache. 

Es handelt sich um ein und denselben Vorgang. Die verschiedenen Worte, mit denen wir ihn beschreiben, be- zeichnen verschiedene logische, aber nicht Zeitmomente - nicht eins nach dem andern, sondern je in dieser oder anderer Hinsicht.

Und ist der elementare Akt des Bildens einmal gelungen, lässt er sich prinzipiell allezeit wiederholen. Vom Bild lässt sich nun wiederum ein Bild machen, und immer so fort. Die Reflexion schläft nie. Sie schlummert höch- stens mal, aber sie ist immer dabei.


13. 9. 13

Nota. - 'Vorstellung' ist hier nicht ihrer unspezifischen transzendentalen Bedeutung gebraucht, sondern in einer realen und spezifischen.
JE



Montag, 3. Oktober 2016

Das Unmittelbare und das Verkehrte.


Aber ich bin auch in 'meiner' Welt nicht allein. Ich stehe von Anbeginn bis Schluss in Verkehr. Im Verkehr kann der Eine an die Stelle des Andern treten. Im Verkehr wird der Wechsel der Perspektiven habituell. Aus dem Verkehr erwachsen Abstände und Nähen, der Verkehr manifestiert Unterschiede und schafft Reflexion. Verkehr ist Vermittlung. In der Welt, die Verkehr ist, ist nichts unmittelbar. Genauer gesagt: In 'unserer' Welt ist nichts unmittelbar, ist alles nur 'vermittels…': Alles ist verkehrt. Das Unmittelbare kommt allein in 'meiner' Welt vor. In 'unserer' Welt kann ich es nur symbolisch vermittelt "zur Sprache bringen" – was in 'meiner' Welt gar nicht nötig ist. 

März 1, 2009 






 

Sonntag, 2. Oktober 2016

Absicht und Einfachheit.

K. Malevitch, Schwarzer Kreis, 1923

Einfachheit ist kein Attribut des Wirklichen. Im Gegenteil, auszeichnendes Merkmal der Erscheinungswelt ist - von den Eleaten bis Kant - das Mannigfaltige. Das Einfache 'gibt es' immer nur als Erzeugnis einer Denkarbeit. Es ist Ergebnis des Prozesses von Reflexion und Abstraktion. Es handelt sich wohlbemerkt um ein und denselben Prozess: Wer auf das Eine absieht, sieht dabei von dem Andern ab.

Das Ein-fache, das dabei zustande kommt, ist ein Ein-seitiges, gewiss doch: Es ist ja Resultat einer Absicht. Ist die Absicht gerechtfertigt, so ist es auch die dazu gehörige Einseitigkeit. 'Kritisch'  ist das Denken nicht, wenn es Einseitigkeit vermeidet; denn ohne Vereinfachung ist gar kein Denken. Sondern indem es die zu Grunde liegende Absicht ausspricht und ihre Berechtigung prüft. Rechtfertigen kann sich die Absicht aber wieder nur durch ihr Ergebnis.

6. 12. 13

Samstag, 1. Oktober 2016

Kriterium des Wahren.

Rainer Sturm, pixelio.de

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Kriterium des Wahren ist, es selber geschaffen zu haben.

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Giambattista Vico, Liber Metaphysicus
De antiquissime Italiorum sapientia liber primus, München 1979, S. 44/45