Donnerstag, 23. November 2017

Sein ästhetisches Vermögen ist das ursprünglich Schöpferische im Menschen.



'Der Mensch hat mit seinem Ausbruch in eine fremde Welt die Vorbestimmtheit alles ihm Erscheinenden verloren: Ihm "erscheint" auch das, was für Stoffwechsel und Fortpflanzung ... ohne Bedeutung ist. Er muss Dinge selbst-bestimmen. Zuerst, ob sie für Stoffwechsel und Fortpflanzung 'in Frage kommen'. Von ihm fordert jede Erscheinung ein Urteil. Das ist die Grundbedingung des Existierens in einer Welt. Das Urteilen ist: im Wahrnehmen ipso actu entscheiden zwischen Beifall und Missbilligung.' 

So habe ich [seinerzeit] aus einem Notizheft zitiert und auf den ursprünglich ästhetischen Charakter des Urtei- lens hingewiesen: 'Beifall und Missbilligung erfolgen nämlich einstweilen versuchsweise: 'Ob es was taugt?' - 'Mal sehen, zu was.''

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Ich hole aus.

'Beifall und Missbilligung' - damit kennzeichnet der Fichte-Schüler Herbart, der früh mit der Transzendental- philosophie gebrochen hat, um zu den Eleaten (und eigentlich auch Leibniz) zurückzukehren, die Besonderheit der ästhetischen Urteilensweise. - Wie ein Kantianer unterscheidet er das Wissen nicht nach seinen Gegenstän- den, sondern nach der Art und Weise, wie es zustandekommt. Und zwar unterscheidet er Metaphysik und Ästhe- tik. Metaphysisch ist alles Wissen, das durch das An- und Verknüpfen von Vorstellungen zustandekommt; also das ganze Feld des diskursiven Denkens. Ästhetisch nennt er jene Vorstellungen, die notwendig unmittelbar mit einem Gefühl des Beifalls oder der Missbilligung begleitet sind. Ästhetische Vorstellungen im Bereich der Wil- lensakte nennt er ethisch, Ethik ist ein Teilbereich der Ästhetik. - Dass er Fichte-Schüler war, ist kaum zu über- hören, wenn er es selber auch nicht wahrhaben wollte.


Zurück zum Ur-Sprung der Menschwerdung. Der Mensch, der die Selbstverständlichkeiten seiner Urwald- nische hinter sich gelassen hatte, musste fragen. Die Frage 'Ist es dies?' 'Ist es das?' kommt nie zu einem Ende, wo alles neu ist; wäre aber nur möglich, wenn die Erinnerungen an die verlassene Umwelt bestimmt wären, aber gerade das waren sie nicht - sondern selbstverständlich. 'Kann ich es essen, kann ich es trinken' - so wie noch heute der Franzose fragt - ist eine enge Fragestellung, aber 'Dient es meiner Selbst- und Arterhaltung?' konnte er noch nicht fragen, doch selbst auf die Frage nach der Genießbarkeit gab es nur eine Antwort: Du musst es versuchen. 

Die Versuchung ist es, die Beifall oder Missbilligung heischt, nicht das Ding. Die Frage, ob man's wagen soll, lässt sich aus Begriffen (noch) nicht entscheiden, sie muss intuitiv gefunden werden, in der Anschauung selbst. Es ist ein - ästhetisches Urteil.



Das ist Anthropologie, nicht Transzendentalphilosophie. Aber sie steht unter der Aufsicht der Transzendental- philosophie. Sie hat nicht zu beweisen - aus welche Dokumenten denn ? -, weshalb dieses so und nicht anders kommen musste. Sondern sie muss ausschauen, ob Bedingungen gegeben sind, an die sie sinnvoll ihre Fragen stellen kann. Die Fragen kommen woher? Aus dem, was uns phänomenal als 'das Menschliche' vorliegt. Die Bedingungen, das ist das Wenige (das aber immer mehr wird), was uns die Paläontologie versichern kann.

Wir haben gedacht, das spezifisch Menschliche, das uns phänomenal vorliegt, sei die Intelligenz. Von der wissen wir inzwischen, dass sie reichlich auch überall im Tierreich schon vorkommt, unsere Vorsprünge sind überall nur graduell. Auch dass Versuchungen an uns treten, ist nichts Spezifisches. Das wird Tieren auch passieren, und da zeigt sich, dass schon bei ihnen persönliche Lebenserfahrung ein Rolle spielt. Ansonsten sind Versuchungen für das Tier wie eine Lotterie.

Aber der Mensch will spielen. Er sucht die Versuchung, er bleibt sein Leben lang neugierig wie sonst nur die Kinder, er steht allezeit vor der Frage, ob ihn das Abenteuer lockt oder die Gefahr ihn schreckt. Früher war er Jäger. In der Arbeitsgesellschaft konnte er das nicht bleiben, darum hat sie den Phänotypus des Künstlers her- vorgebracht. So kam das ästhetische Vermögen zu seinem vorläufigen Bestimmungspunkt.

Das ist die Frage und die Antwort.


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