Freitag, 30. Juni 2017

Das System der Vernunft ist uns gegeben.



Die Wissenschaftslehre hat zum Gegenstand das uns heute gegebene System des Wissens. Dieses will sie verstehen: zurückführen auf seine immanenten Prämissen. Sie beschreibt nicht, wie dieses System in der historischen Wirklichkeit entstanden ist. Entstehen konnte es nur, indem aus den wirklich vorkommenden Vorstellungen progressiv alles für die Systembildung Unbrauchbare ausgeschieden wurde. Es ist Material einer historischen Darstellung. In einer Darstellung des fertigen Systems hat es nicht zu suchen.

Der gegenwärtige Teilhaber dieses Systems - einer 'Reihe vernünftiger Wesen' - kann nicht anders, als seine Vorstellungen mit dem ihm als Apriori gegebenen System ins Verhältnis zu setzen: Seine Vorstellungen drängen zum Begriff. Dass sie von ihm "unzertrennlich" wären, trifft aber nur in der einen Richtung zu: Die Begriffe sind von den in ihnen gefassten Vorstellungen unzertrennlich. Doch nicht gilt die Umkehrung. Nicht jede Vor- stellung bedarf ihrer Bestimmung; sondern nur diejenige, die mit den Andern (='vernünftigen Wesen') geteilt werden soll. Was ich ganz für mich behalten darf, mag unbestimmt und begriffslos bleiben.

In einer historischen Darstellung müsste gezeigt werden, dass und wie die Vorstellungen zu Begriffen erst wurden - durch progressives Ausscheiden des Unbrauchbaren im Verkehr





Donnerstag, 29. Juni 2017

Das Mysterium des Anfangs.



Es ist das Mysterium des AnfangsDer Anfang lässt sich nicht diskursiv denken, nicht begreifen, nämlich nicht auf seine Bedingungen zurückführen, denn die wären 'vor' dem Anfang, was widersinnig ist. Der Anfang lässt sich nur anschauen, nämlich actu: indem ich ihn mache.
 

Vom Urknall und dem Anfang von Raum und Zeit ist ja hier nicht die Rede. Es geht um den Anfang des Vor- stellens, aus dem Vorstellen tritt die Wissenschaftslehre an keiner Stelle hinaus; sie darf gar nicht anders als im- manent argumentieren.


Mittwoch, 28. Juni 2017

Reduktion als Deduktion.


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Die Deduktionen der Wissenschaftslehre sind eher Re duktionen: Es wird nicht aus Obersätzen abgeleitet, sondern es werden Bedingungen aufgesucht und freigelegt. Es sind faktische Implikationen: Indem ich Dieses tue, tue ich zugleich Jenes und Jenes; täte ich Jenes nicht, so auch nicht Dieses. 'Weil aber der Philosoph ein Wesen ist, das in der Zeit denken muss', stellt er sich diese Eine Handlung als ein Nacheinander von mehreren Handlungen vor. - Wenn dann später im transzendentalen Schema - wie in einem Begriff - die Zeit wieder aus- geschieden wird, wird lediglich der "ursprüngliche Zustand" wiederhergestellt.

Ich kann mir die Entfernung zwischen zwei Punkten nicht vorstellen, ohne mir Bewegung von einem zum andern vorzustellen. Aber ich konnte mir keine Bewegung vorstellen, ohne mir Raum und Zeit vorzustellen.






Dienstag, 27. Juni 2017

Ursprung der Dialektik.


Caravaggio

'Dialektisch' muss das kritische Denken verfahren wegen der "ursprünglichen Duplizität": Ich kann mich als Subjekt nicht setzen, ohne mich zugleich als Objekt zu setzen (oder umgekehrt). Auf alles, was ich 'an sich' tue, muss ich zugleich reflektieren, weil es anders für mich nicht werden kann. 

Das ist inzwischen eine Trivialität, aber die Wissenschaftslehre ist in gewisser Weise nichts anderes als eine endlose Variation zu diesem Thema: Wer synthetisieren will, muss zuvor analysieren. Die verwirrende Schwie- rigkeit der Wissenschaftslehre entsteht aus dem unablässigen Wechsel zwischen beiden Perspektiven. (Manch- mal verheddert sich Fichte anscheinend selber und stellt die Sache umständlicher dar als nötig.)

Fichte hat den Ausdruck Dialektik nie für seine Methode in Anspruch genommen, und sein Nachfolger auf dem Berliner Lehrstuhl, der ihn zum Arkanum seines totalitären Systems machte, hat aus Fichtes 'analytisch-synthetischer Methode' gerade das entfernt, was den Ausdruck Dia lektik rechtfertigen könnte: das treibende Moment des schlechterdings wollenden Subjekts, und an seine Stelle die 'Selbstbewegung des Begriffs' gesetzt - der zwar hier in dieser, dort in jener Bestimmung 'erscheint', aber doch immer er selber, immer Begriff bleibt; immer Objektivum. 

In einer rationellen Dialektik tritt der Begriff dagegen stets nur als eine Vorstellungsweise des wollenden Sub- jekts auf, so wie die Anschauung auch, und wenn sie miteinander 'die Stelle wechseln' können, so nur, weil jenes seine Stellung wechselt.







Montag, 26. Juni 2017

Aufmerksamkeit ist gerichtet.



Aufmerksamkeit ist gerichtet, sonst wäre sie keine. Richte ich sie auf dieses, ziehe ich sie ab von jenem. Indem ich auf den Gegenstand merke, kann ich nicht auf mich merken, und umgekehrt. Das ist keine Besonderheit der menschlichen Aufmerksamkeit: Dem Tier geht es nicht anders. Die Besonderheit der menschlichen Aufmerk- samkeit ist: Wir können unsere Aufmerksamkeit willkürlich lenken. Das kann das Tier nicht.* Es kann auf sich nicht aufmerksam werden.
 

*) Es sei denn, wenn es klug ist – wie manche Affen und wohl auch Raben –, im Spiegel.




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Sonntag, 25. Juni 2017

Bewusst sein.

 

Bewusst sein ist kein Zustand. 'Sondern ein Akt', müsste hier folgen; actus purus. Aber das ist eher ein Thema der Psychologie und interessiert Fichte eigentlich nicht. Hier geht es darum: Wenn ich mir das Bewusstsein als einen Zustand vorstelle, erscheint es als ruhendes Objekt eines Vorstellenden und nicht selbst als vorstellend - und folglich als etwas anderes als ich, es kommt niemals in mich hinein und ich nicht in es. Die Vorstellung, dass ich auf bewusste Weise bin, und zwar in der Verlaufsform und nicht als Ruhe, wird so abgeschnitten. 

Aber dies ist immerhin ein Wink an die empirischen Psychologen, in welcher Richtung sie suchen sollen, und so behauptet die Transzendentalphilosophie immerhin ihren Nutzen als Regulativ der realen Wissenschaften.







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Samstag, 24. Juni 2017

Wesen der Vernunft ist das sich-selbst-Setzen.



Dass das Wesen der Vernunft im Sich-selber-setzen besteht, bleibt immer vorausgesetzt und lässt sich aus nichts Elementarem herleiten, es ist selber elementar. Und nur, wer so verfährt, soll Vernunftwesen heißen, das ist tautologisch. Doch dass es, wenn es sich selber setzt, so verfährt und anders nicht verfahren kann, das ist rein faktisch so und beruht auf keinerlei Gesetz: denn dann wäre es kein Sich-selber-Setzen.







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Freitag, 23. Juni 2017

Ein Modell.



Das System ist ein Modell. Aber das Modell kommt nicht zustande, indem man aus allen möglichen Varianten (in Wahrheit: der begrenzten Zahl derer, die einem einfallen) einen Durchschnitt ermittelt, sondern indem man ins Modell nur das aufnimmt, worauf es ankommt. 

Was aber ist es, worauf es ankommt? Das kann man nicht her aus suchen, sondern muss es vor aus setzen. Hat man das Richtige getroffen, "so muss das Resultat mit der gemeinen Erfahrung übereinstimmen". Das ist der Prüfstein: Eine 'Reihe vernünftiger Wesen' ist das historisch Reale. Dies muss erklärt werden. 







Donnerstag, 22. Juni 2017

Transzendentalphilosophie ist immanent



Unser Wissen findet in unserm Bewusstsein statt; beides sind Wechselbegriffe. In unserm Bewusstsein kommen nur Vorstellungen vor. Wenn unser Wissen nach seinen Voraussetzungen fragt, fragt es nach sich selbst. Transzendentalphilosophie kann aus diesem Rahmen nie hinaus, sie ist immanent.



Mittwoch, 21. Juni 2017

Nur handeln ist real.



Das Ich 'ist' ein Noumenon. Ich kann es nicht anschauen, sondern nur denken. Ich schaue an dieses und jenes, namentlich schaue ich an mich als vorstellend. Dass es jemanden gab, der vorstellen können musste, bevor er wirklich vorgestellt hat, kann - und muss - ich mir lediglich hinzudenken. Daher heißt es eingangs ganz richtig: Der Begriff des Ich entsteht dadurch, dass ich mich selbst setze; und nicht: Das Ich entsteht... 

Nicht das Handeln folgt aus einem Ich, sondern ein Ich muss dem Handeln notwendig vorausgedacht werden. Real ist nur das Handeln, genauer: Nur handeln ist real.







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Dienstag, 20. Juni 2017

Das Verfahren der Wissenschaftslehre,


motorclassic

Das ist das Verfahren der Wissenschaftslehre: Statt freihändig Begriffe zu definieren und daraus ein System zu bauen, sucht sie in den wirklichen Vorstellungen der 'endlichen' Vernunftwesen die ihnen zu Grunde liegenden anschaulichen Voraussetzungen auf, und erst, wenn sie an den Punkt gerät, hinter den es nicht hinausgeht, kehrt sie ihren Gang um und setzt, was sie zuvor analytisch auseinandergelegt hatte, synthetisch wieder zusam- men; daran, ob auf diesem Weg die wirkliche Vorstellungswelt der 'endlichen Vernunftwesen' hinreichend re- konstruiert werden kann, entscheidet sich ihre Richtigkeit.





Montag, 19. Juni 2017

Wer bestimmt den Menschen wozu?



Der Mensch ist 'bestimmt zu vollständiger und systematischer Kenntnis': woher weiß Fichte das? Nach seiner Lehre ist der Mensch, sofern er Vernunftwesen ist, nur bestimmt als das, wozu er sich selbst bestimmt. Wenn er sagt 'So ist es', kann es sich entweder um die Feststellung eines empirisch Vorgefundenen handeln, oder um ein Postulat: 'So soll es sein.' 

Tatsächlich handelt es sich hier um beides; es ist die historisch vorgefundene Tatsache des autonomen bürger- lichen Subjekts; und der Entschluss des theoretischen Philosophen, dies empirisch Gegebene als seinen prakti- schen Zweck anzusehen. Die Wissenschaftslehre ist die Anthropologie des bürgerlichen Zeitalters.




Sonntag, 18. Juni 2017

Kants Kategorien.



Die Kantische Philosophie ist nur durch Induktion, nicht aber durch Deduktion bewiesen. Sie sagt: Wenn man diesen oder jene Gesetze annehme, wäre das Bewusstsein zu erklären; sie gilt daher nur als Hypothese.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 5f. 


Kants Induktion führt ihn nur bis zu den Kategorien. Er hat sie im Material 'aufgefunden' und stellt sie zu- sammen; nebeneinander. Aber schon, weshalb es genau diese zwölf sein müssen, wird nicht demonstriert und nicht deduziert. Schon gar nicht wird deduziert, woher sie stammen. Es sind vier mal drei, das sieht gut aus, aber mehr Evidenz haben Kants Kategorien nicht für sich.






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Samstag, 17. Juni 2017

Im Grunde ist die Wissenschaftslehre realistisch.


asv-metiers.fr
 
Die Wissenschaftslehre hebt nicht an bei der Frage, ob es eine Wirklichkeit gäbe außer der Vorstellung, sondern warum jeder vernünftige Mensch davon ausgeht, dass es so sei. Die erste Frage wäre metaphysisch, die zweite ist transzendental. Und nur die zweite ist daher vernünftig. Dass es so sei ist die Voraussetzung, aus der die Transzendentalphilosophie nicht heraustreten kann, ohne die Vernunft zu verlassen. Auf der ersten seman- tischen Ebene ist auch sie realistisch. Idealistisch ist sie erst auf der zweiten Ebene, der Reflexion der Vernunft auf sich selbst.




Freitag, 16. Juni 2017

Nur, was zufällig ist, braucht einen Grund.


hans bauten

Man sucht nur den Grund von zufälligen Dingen. Die Philosophie überhaupt sucht den Grund von notwen- digen Vorstellungen; diese müssen also als zufällig gedacht werden. 

Es wäre Unsinn, nach dem Grund eines Dinges zu fragen, das ich nicht für zufällig hielte. Ich halte etwas für zufällig heißt: Ich könnte denken, dass es gar nicht oder dass es ganz anders wäre. So sind die Vorstellungen vom ganzen Weltsystem; wir denken uns die Erde füglich als anders sein könnend, und uns selbst können wir auf einen andren Planeten versetzt denken. Ob wir ohne solche Vorstellungen sein könnten, belehrt uns die Philosophie; aber dass wir das Weltsystem für zufällig halten, ist gewiss, denn nur darum können wir nach einem Grund fragen.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 13 


Nota. - Der gesunde Menschenverstand sieht das ganz anders. Was zufällig geschieht, scheint ihm nicht hin- reichend begründet, und was hinreichend begründet ist, kann eigentlich gar nicht anders sein. - Doch der ge- sunde Menschenverstand ist ein Metaphysiker, für ihn sind logische Gründe und reelle Ursachen dasselbe. Aber notwendig ist nur das Logische, alles Faktische ist bloß mehr oder minder wahrscheinlich, und also mehr oder minder kontingent. Für das metaphysische Denken sind indessen beides 'Kräfte' aus einem 'Stoff', denen ein und dieselbe Substanz 'zu Grunde liegt'. Und die stellen sie sich unweigerlich als einen Schöpfer vor - der selber aber 'ganz anders' hätte schöpfen können!

Die kritische Philosophie macht es möglich und recht eigentlich notwendig, sich das bloß Seiende, das lediglich ist, weil es ist, als einen Zufall vorzustellen. Erst dann kann und muss man immer fragen: warum? Und keine Antwort kann je die letzte sein, man muss immer weiter fragen: warum nun aber dies? Einen Anfang wird man nie finden, man müsste ihn schon postulierenDoch auch nur die Kritische Philosophie erlaubt, einen Akt der Freiheit zu denken.
JE






Donnerstag, 15. Juni 2017

Nur, was gesetzt wurde, kann aufgehoben werden.



Es ist wie mit dem Paradox der Wahrheit. Wahr kann offenbar kein Ding oder Sachverhalt sein, sondern lediglich das Verhältnis meiner Vorstellung zu ihm. Die Frage, ob es Wahrheit der Vorstellung geben könnte, setzt also voraus, dass ich mir von der Wahrheit der Vorstellung eine Vorstellung bereits gemacht habe; ich kann also nicht mehr fragen, ob das möglich war. Ich kann immer nur fragen, ob diese Vorstellung wahr ist.

Mit andern Worten, positio und negatio sind nicht logisch gleichrangig - und daher ontologisch schon gar nicht.

(Ein Ding wird nicht gesetzt. Es wird vorgefunden. Das Vorgefundene wird bestimmt. Bestimmen heißt: Setzen seiner Bedeutung. Bedeutung ist kein Sachverhalt, sondern ein idealer Akt. Ein idealer Akt muss als ein solcher gesetzt worden sein, bevor er negiert werden kann. Es gibt den Modus ponens ohne darauffolgenden Modus tollens; aber keinen Tollens ohne vorangegangenen Ponens.)






Mittwoch, 14. Juni 2017

Absehen und finden.


Moulin, Objet trouvé à Pompéi

Wie ist das nun mit dem Finden und der Absicht? Wenn ich nicht auf irgendwas absähe, würde ich nie etwas finden: Fichte hat das ursprüngliche Wollen des Menschen an den Anfang der Wissenschaftslehre gesetzt. Was immer Eingang ins Bewusstsein findet - das Absehen ist die Bedingung. 

So sagt der Transzendentalphilosoph, doch sobald er das Katheder verlässt, ist er Realist wie alle andern: Die Menschen wären nie aufs Absehen verfallen, wenn sie nicht tatsächlich Etwas gefunden hätten; etwas, das ihnen fremd, also unbestimmt war und zum Bestimmen herausforderte. 

Es ist immer alles dasselbe, das wiederholt er oft genug; aber eben immer wieder von der nächsthöheren Stufe aus betrachtet.



Dienstag, 13. Juni 2017

Bestimmen ist das Einbilden von Qualitäten.


Kandinsky, 1914
 
'Bestimmen' ist das Schlüsselwort der Wissenschaftslehre. Ist es ein Begriff?

- Der quasi-ontologische Grundstein ist Tätigkeit, und was ist Tätigkeit? Es ist im weitesten Sinn das Übergehen vom Bestimmbaren zum Bestimmten. Worauf bezieht sich aber 'bestimmen'? Nicht aufs Sein; das ist oder ist nicht. Sondern auf Gelten oder auf Bedeutung oder das, was man an einem Seienden als sinnhaft finden kann. 

Doch anders als das da-Sein lässt sich Geltung nicht formalisieren. Nichts bedeutet "überhaupt", sondern immer nur dieses oder jenes; und nur diesem oder jenem. Es ist etwas Neues, das hinzukommt - zwar aus Bedin- gungen 'hervor gegangen', aber nicht aus ihnen zusammengesetzt. Mit andern Worten: Logisch, nämlich aus definierten Begriffen und geprüften Verfahren, lässt es sich nicht herleiten. Darum nennt Fichte seine Darstel- lungsweise eine genetische: Es sind sinnhafte, qualitative Setzungen, die sich nicht 'aus einander entwickeln', son- dern die ein Tätiger generieren muss, wenn sie geschehen sollen, und deren sinnhafter Implikationen er sich erst in nachträglicher Reflexion gewiss wird.

Qualitäten lassen sich nicht definieren, dazu müssten sie in Relation stehen, aber dann wären sie relativ und nicht qualitativ. Man kann sie nur anschauen, indem man sie einbildend selbst hervorbringt.




Montag, 12. Juni 2017

Begriffe entstehen durch Handeln und um des Handelns willen..


klettern

Der Kantische Satz: Unsere Begriffe beziehen sich nur auf Objekte der Erfahrung, erhält in der Wissenschafts- lehre die höhere Bestimmung: Die Erfahrung bezieht sich auf Handeln, die Begriffe entstehen durch Handeln und sind nur um des Handelns willen da, nur das Handeln ist absolut. 
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 61



Samstag, 10. Juni 2017

Schema und Hermeneutik.


Kanon nach Polyklet

Die Wissenschaftslehre ist das Schema – modern: theoretische Modell – eines tatsächlichen Denkens, sofern es als vernünftig gelten soll. Aber das ist erst die halbe Miete; bleibt immer übrig das hermeneutische Problem, ein tat- sächliches Denken so zu deuten, dass es dem Modell entspricht; oder eben nicht.

Mit andern Worten,  die Wissenschaftslehre ist nach ihrem Abschluss so kritisch wie an ihrem Anfang.







Dialektik von Stoff und Form.



Die Form ist das Bestimmbare an der Materie. Das Bestimmbare an der Materie ist ihre Form. Form ist die Spur des Handelns an der Materie.
Was sollte es darüber hinaus für eine 'Dialektik von Stoff und Form' noch geben? 
 
Mit der Naturform ist es wie mit dem Naturschönen: Sie wird wahrgenommen, als ob sie vom Menschen gemacht sei.






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Freitag, 9. Juni 2017

So schwer ist die Transzendentalphilosophie gar nicht.


Jean Tinguely, Heureka

So sehr schwer ist die Transzendentalphilosophie wirklich nicht; jedenfalls nicht mehr in ihrer von Fichte radikalisierten Gestalt. Sie ist konsequente Reflexionsphilosophie, da hatte Hegel, wenn er es auch abfällig meinte, Recht. Aber das ist nicht an sich eine Schwierigkeit. Dass es nicht dasselbe ist, ob ich X denke, oder ob ich denke, dass ich X denke, kann schon ein Schulbub einsehen. Nur wird er es bald wieder vergessen, weil er in seinem Leben kaum etwas damit anfangen kann. Die Transzendentalphilosophie mutet ihrem Studenten aber an, damit unablässig immer und immer wieder anzufangen. Ich denke X; er meint, dass ich X denke; ich weiß, dass er meint, dass ich X denke - und so ins Unendliche fort.

Nicht die Operation selbst ist schwierig, sondern schwierig ist, die semantischen Ebenen – 'Reflexionsstufen' – auf Schritt und Tritt auseinander zu halten. Das erfordert Konzentration auch dort, wo eigentlich nur Routine-operationen geschehen; es ist, als ob man in einer mathematischen Gleichung eine Klammer übersieht: Auf einmal stimmt gar nichts mehr.

Fleiß und Konzentration, das erwartet einen beim Rechnen. Ist aber beim Philosophieren nicht gerade leben- diges Vorstellen nötig?

Und das macht die Transzendentalphilosophie schwierig: Ihr Verfahren ist pedantisch, doch ihr Gegenstand ist die Tätigkeit der landläufig so genannten Phantasie, die hier aber produktive Einbildungskraft heißt. Und das ist der Clou: Sinn und Zweck des Verfahrens ist, unter den Begriffen und deren pedantischen Verknüpfungen die lebendigen Vorstellungen freizulegen, aus denen sie abstrahiert wurden. Das Vorstellen ist anstrengend, aber belebend, wenn es einem gelingt. Das Immerundimmerreflektieren ist strapaziös und ermüdend; darum gelingt es manchmal nicht, und dann muss man wieder von vorn anfangen.






Donnerstag, 8. Juni 2017

Bestimmt als unbestimmt...



Das Unbestimmte wird bestimmt als ein Unbestimmtes, was nichts anderes bedeutet denn: als ein zu-Bestim- mendes. - Das Bestimmbare ist kein Bedeutungsloses. Denn es ist nicht zuerst unbestimmt, das Ich entschließt dann sich zum Bestimmen, und dadurch wird es ein Bestimmbares; sondern indem das Ich schon zu handeln (=anzuschauen) beginnt, wird es überhaupt erst für das Ich - und eo ipso ein Bestimmbares. Vorher war es für das Ich nicht da. (Ob für einen andern, könnte nur er uns sagen.)

Transzendentalphilosophie ist keine Entwicklungspsychologie. In der Realgeschichte eines Individuums kommt das nicht vor: Zuerst denkt das Individuum 'überhaupt', und danach verdichtet es sein Denken zu 'diesem'. Die Wissenschaftslehre ist keine historische Nacherzählung, sondern ein genetisches Modell, in dem es kein vor- und nacheinander gibt, sondern lediglich wechselseitige Bedingungen.






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Mittwoch, 7. Juni 2017

Wille an sich.



Es wird nicht behauptet, zuerst hätten die Menschen einen reinen Willen, danach würde er durch mannigfaltige dialektische Operationen zu einem empirischen. 

Hier geht es immer um die Erklärung des Bewusstseins aus der wirklichen Vorstellungstätigkeit. Das Grund- schema ist immer dies: Ich finde mich als dieses oder jenes tuend oder getan habend. Ich muss daraus schlie- ßen, dass ich es gekonnt habe. Diese Anschauung wird mir zum Begriff eines Vermögens. 

So muss der wirklich Wollende seinem wirklichen Wollen die Fähigkeit zum Wollen voraussetzen: Die konkrete Vorstellung ist nicht ohne die reflexive Hypostase der abstrakten Vorstellung "möglich"; d. h. möglich ist sie schon, solange ich nicht denke; wenn ich aber denke, muss ich so denken.






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Dienstag, 6. Juni 2017

Was Vernunft eigentlich ist.



Die Wissenschaftslehre ist also der Versuch eines vernünftigen Wesens, sich sein Bewusstsein zu erklären. Zu verstehen, was es ist, nämlich wie es verfährt. Nicht, wie es geworden ist: Enstanden ist es einmal, nun habe ich damit zu tun, wozu es geworden ist. Heute verfährt es so, als sei es immer so verfahren. Ich muss es auffassen als ein Ganzes: ein System.

Es mag wohl sein, dass unser Gehirn tatsächlich wie ein System funktioniert. Aber darum geht es bei der Vernunft nicht. Da geht es darum, sie aus sich selbst zu erklären: aus ihren eigenen Voraussetzungen und ohne auch nur in einem Moment einen äußeren Beitrag in Anspruch zu nehmen: Wer die Vernunft nicht immanent erklärt, erklärt sie gar nicht. Vernünftig ist dabei nicht, dass kausal eines aus dem vorigen folgt, sondern dass sich eine Richtung ergibt, weil sie einen Zweck anstrebt. Vernünftig ist daran, dass sie jederzeit urteilt, welcher Zweck gelten soll.

Ihre Voraussetzung ist das Noumenon eines unbestimmt-bestimmbaren Wollens-überhaupt, am Zielpunkt muss folglich das Noumenon eines unbestimmt-bestimmbaren Zweckes-überhaupt stehen. Nur so ist Vernunft als System möglich. 

Dass ein Bewusstsein sich als schlechterdings wollend auffasst; dass ein Bewusstsein sich als vernünftig be- greift; dass ein Bewusstsein sich als schlechterdings zielgerichtet bestimmt: das alles bedeutet dasselbe. Ob aber diese Bedingungen gegeben sind, ist eine Frage an die historische Realität

Dass sie jedoch sein soll, folgt aus ihr, sobald sie möglich geworden ist.







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Montag, 5. Juni 2017

Die Rechtfertigung der Vernunft.



...die Frage ist: Wie kann ein Vernunftwesen sein Bewusstsein erklären?
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 167.

 
Das ist die Frage, der die Wissenschaftslehre nachgeht. Seit anderthalb Jahunderten - seit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges - waren die Gebildeten Europas sich einig: Von nun an sollte die Vernunft regieren. Vernunft wurde zur selbstverständlichen Grundlage von Allem.

Selbstverständlich, denn was sie sei, wurde nicht gefragt. Es hätte die Vernunft ja von sich selbst reden müssen. So fragte schließlich auch Kant nicht: Was ist Vernunft? Sondern lediglich: Wo sind ihre Grenzen?

Die Grenze, an der er selber stehenblieb, waren die zwölf Kategorien und die beiden Anschauungsformen. Er nannte sie das Apriori, womit auch gemeint war, dass man hinter sie nicht zurückfragen könne, nämlich solan- ge man in der Wissenschaft bleiben wolle; dahinter begänne das Reich des Glaubens.

Kant war auf halbem Wege stehen geblieben, Fichte wollte ihn zu Ende gehen. "Wie kann ein Vernunftwesen sein Bewusstsein erklären?" Es ist nicht die Vernunft, die von sich selber singen soll. Es ist ein wirkliches, leben- diges, endliches Bewusstsein, das sich klarmachen will, wie es zu dem gelangte, was es als seine Vernunft er- kennt. Sie sind von Anbeginn zwei, ein Subjekt und ein Objekt. Wer von beiden ist dieses, wer jenes? Begreifen können sie... einander? - nein: sich nur, indem sie die Stelle wechseln.

Doch wohlgemerkt: Nicht die Vernunft hat sich erklärt, sondern ein wirkliches Bewusstsein hat 'sich' seine Vernünftigkeit erklärt. Daher ist diese Erklärung "nicht an sich gültig"(ebd.), nämlich nicht für ein etwaiges un- endliches oder überirdisches Vernunftwesen oder womöglich den Schöpfergott selbst, sondern gilt nur für besagtes Bewusstsein selbst; aber für dieses gilt sie.

 



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Sonntag, 4. Juni 2017

Wissenschaftslehre ist nicht Entwicklungspsychologie.



Das verbreitete Missverstehen der Wissenschaftslehre als eine Entwicklungsgeschichte des Bewusstseins liegt daran, dass Fichte, wenn er von Bewusstsein redet, selbstverständlich das vernünftige Bewusstsein meint; er sagt es nur nicht, weil es tautologisch wäre. Doch 'vernünftig' ist hier Substanz, 'Bewusstsein' Akzidens. Die Wissenschaftslehre ist das artikuliert-lebendige Modell der Vernunft. Mit der Entstehung der Bewusstseine beschäftigt sich die Psychologie. 



  



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Samstag, 3. Juni 2017

Das Wollen ist das unendlich zu Bestimmende.



Ich werde nicht müde, es zu wiederholen: In der transzendentalen Auffassung, als Noumenon, ist das reine Wollen als das höchste Bestimmbare aufgefasst, denn es ist von Allem das allererste. Weil es aber reines Wollen ist, wird seine Bestimmbarkeit und das Übergehen zur Bestimmtheit nie zu einem Schluss kommmen, das Bestimmen geht ins Unendliche fort. Den fiktiven Zielpunkt kann oder muss ich sogar mir denken als das Eine Absolute, Zweckbegriff an-sich als Gegenstand des Wollens an-sich; Noumena alle beide. 

In der transzendentalen Analyse ist das Wollen das letzte Aufgefundene, in der synthetischen Rekonstruktion ist es das erste Vorauszusetzende. In der Realität kommt das Denken - "Deliberieren" - vor dem Wollen, empirisch ist das Wollen immer schon bestimmt als das Wollen von diesem oder jenem, erst in der transzendentalen Reflexion scheint auf, dass es dem Denken noumenal immer schon zu Grunde lag.






Freitag, 2. Juni 2017

Omnis negatio est positio.



Wenn ich annehme, das Ich sei 'Tätigkeit überhaupt', dann ist diese Vorstellung nur soweit bestimmt, dass sie kein Leiden ist. Darüber hinaus ist sie gänzlich unbestimmt. Soll ich sie aber einschränken - und nichts anderes kann Bestimmern hier heißen -, so muss ich das, was sie nicht sein soll, seinerseits 'positiv' bestimmen. - Es sollte sich zeigen, dass wir auch dieses 'Positive' nur durch Entgegensetzung bestimmen können. Wenn aber Bewusstsein Bestimmtheit sein soll, dann kann es nur durch Negation entstehen.

Das ist nicht neu. Nun ist in der Wissenschaftslehre außer dem Anfang gar nichts 'neu'. Sie ist überall nur Fortbestimmung des Ersten Grundsatzes.

Tätigkeit oder Leiden, ein Drittes gibt es für die Wissenschaftslehre nicht. Ein Drittes, reine Ruhe, gibt es nur im Begriff, als Vorstellung von nicht-Etwas. Die Wissenschaftslehre hat aber das lebendige Vorstellen zum Gegenstand, nicht das Nicht-Vorstellen. 






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Donnerstag, 1. Juni 2017

In der Wirklichkeit kommt die Bestimmtheit vor der Unbestimmtheit.



Es geht in der Philosophie nicht um Begriffe und deren handlichste Definition, sondern um das materiale Vor- stellen selbst. Dem Begriff nach kommt die Unbestimmtheit vor der Bestimmung. Woher die Bestimmung aber kommt, wird gar nicht gefragt. Doch die Intelligenz, die in einer Reihe vernünftiger Wesen zur Welt gekommen ist, trifft zuerst allenthalben auf schon (von Andern) Bestimmtes. 

Unbestimmtheit ist das, was sie zuerst nicht kennt, darum erscheint sie ihr, wo sie ihr begegnet, von vornherein als zu überwindender Mangel: als ein zu-Bestimmendes. Als was sie zu bestimmen ist, weiß sie nicht, aber dass. Das Was schwebt ihr als Möglichkeit vor.