Kausalität.




Kausalität, oder Der Mythos vom Allverursacher.


Die Logisierung, nämlich Mathematisierung der Welt durch Descartes und Newton im 17. Jahrhundert gilt als der Sieg der Vernunft über den Mythos. Wissenschaftlich und rational ist seither nur jene Weltbetrachtung, die alles Sicht- wie alles Denkbare unter die Kategorie von Ursache und Wirkung fasst. Dabei ist das selber ein Mythos, wenn auch einer von höherer Ordnung. Die alten Mythen erzählten – anders als die Wissenschaft, die in allgemeinen Sätzen spricht – immer von besonderen Ereignissen, die sinnbildlich auf Mehr deuten. Dieser moderne Metamythos handelt aber von Allem und Jedem.

Spinoza hat ihn zum mechanischen Universalsystem ausgetüftelt: Der Erste Verursacher – deus sive natura – konstruiert sich ordine geometrico zur Welt. Da hat die Kausalität keine Lücke – Determiniertheit aller Orten. Die Willensfreiheit war auch für ihn das große Skandalon. “Die Menschen täuschen sich darin, dass sie glauben, sie seien frei. Diese Meinung besteht bloß darin, dass sie sich ihrer Handlungen bewusst sind, die Ursachen aber, wovon sie bestimmt werden, nicht kennen. Das also ist die Idee ihrer Freiheit, das sie keine Ursache ihrer Handlungen kennen. Denn wenn sie sagen, die menschlichen Handlungen hängen vom Willen ab, so sind das Worte, von welchen sie keine Idee haben. Was der Wille ist und wie er den Körper bewegt, wissen sie ja alle nicht, und diejenigen, die etwas anderes vorgeben und einen Sitz und Aufenthalt der Seele erdichten, erregen damit nur Lachen und Verdruss.” (Substanziell mehr haben die Hirnphysiologen unserer Tage in dieser Sache auch nicht vorgebracht.)

Wenn ich mich einmal entschlossen habe, den Fluss des wirklichen Geschehens in eine zeitliche Folge von Zuständen aufzulösen, und ferner entschlossen bin, das Nacheinander der Zustände als ein Machen aufzufassen, dann werde ich, was Wunder, allenthalben Ursachen und deren Folgen antreffen. Aber aus welchem Rechtsgrund durfte ich so verfahren? “Wir wissen mit mehr Deutlichkeit, dass unser Wille frei ist, als dass alles, was geschieht, eine Ursache haben müsse”, sagt Lichtenberg; könne man also nicht das Argument umkehren und sagen: Unsre Begriffe von Ursache und Wirkung “müssen sehr unrichtig sein”, weil unser Wille sonst nicht frei sein könnte?

Sein älterer Zeitgenosse David Hume hatte die Idee der Kausalität bereits zwar nicht für unrichtig, aber doch für rational unhaltbar erklärt. Die Vorstellung, dass das, was post hoc – nach-jetzt – geschieht, propter hoc geschähe: wegen-jetzt, sei eine bloße Gewohnheit der alltäglichen Anschauung ohne jeden vernünftigen Grund. Noch kein Mensch hat sich bei dem Satz, dass Etwas ist, “weil” etwas Anderes vorher war, je wirklich etwas denken können – es sei denn, er hat sich einen Macher hinzugedacht.

Als Descartes und Newton seinerzeit die moderne, wissenschaftliche Weltanschauung begründeten, haben sie das nicht verhohlen: In ihrer mathematisierten ‚Natur’ wurde die Kausalität durch “wirkende Kräfte” gewährleistet, die der Schöpfer ihr eingepflanzt hatte; mechanische Kräfte: Druck und Stoß. Als etwa Newton ins Weltall die “Anziehungskraft” einführte, fehlte ihm im leeren Raum ein Medium, durch welches sie ‚übertragen’ werden konnte; also wurde gleich der ‚Äther’ mit hinzu erfunden! Im folgenden Jahrhundert obsiegten dann die Empiriker. Wirkende Kräfte waren experimentell nicht nachzuweisen. Auf den Sensualisten Locke folgte der Skeptiker Hume.

Alles hat seine Zeit, seit den Revolutionen der Thermodynamik ist Newtons Physik überholt, und in Einsteins Universum ist an wirkende Kräfte schon gar nicht mehr zu denken. Wer heute in der Wissenschaft die Kausalität nicht heuristisch-regulativ, sondern als Begründung verwenden will, muss sich seinen Macher klammheimlich hinzudenken. Wer etwas anderes vorgibt, erregt… Lachen und Verdruss. 

Denn natürlich ist der Satz, dass nichts ohne zureichende Ursache geschieht, viel älter als Newton und alle Wissenschaft. “Ich bemerke etwas und suche nach einem Grund dafür, das heißt ursprünglich: Ich suche nach einer Absicht darin und vor allem nach einem, der Absicht hat, nach einem Subjekt, einem Täter: alles Geschehen ein Tun – ehemals sah man in allem Geschehen Absichten, dies ist unsere älteste Gewohnheit. Die Frage ‚warum?’ ist immer die Frage nach der Causa finalis, nach einem ‚Wozu?’ Was uns die Festigkeit des Glaubens an Kausalität gibt, ist nicht unsere Gewohnheit des Hintereinanders von Vorgängen, sondern unsere Unfähigkeit, ein Geschehen anders interpretieren zu können als ein Geschehen aus Absichten. Es ist der Glaube, dass alles Geschehen ein Tun sei, dass alles Tun einen Täter voraussetzt”, sagt Nietzsche.

Und Georg von Wright pflichtet bei, “dass die Unterscheidung zwischen Ursache- und Wirkungs-Faktoren auf die Unterscheidung zwischen Dingen, die getan werden, und Dingen, die durch eine Handlung herbeigeführt werden, zurückgeht. Eine Relation zwischen Ereignissen als kausal ansehen heißt, sie unter dem Aspekt einer (möglichen) Handlung ansehen”.

Das führt uns zu folgender Schwindel erregenden Konsequenz: “Der populäre Glaube an Ursache und Wirkung ist auf die Voraussetzung gebaut, dass der freie Wille Ursache sei von jeder Wirkung. Erst daher haben wir das Gefühl der Kausalität.” Allerdings ist es nicht der freie Wille von dir und mir, sondern der freie Wille des Welturhebers.

Wenn alles seine Ursache hat, dann muss am Anfang der Kette eine Erste Ursache stehen. Mit der Kausalität glaubten die Menschen, den Urheber bei der Arbeit belauscht zu haben: Die Natur hat einen “Plan”. Nichts tut sie ohne Bedacht. Und vergeudet nichts! Die Kausalität ist eine säkulare Theologie. Sie gehört zum Bild von der Natur als einem Haushälter. Sie ist die Apotheose der bürgerlichen Gesellschaft.



Die Naturgeschichte des Kausalitätsprinzips.

Lega mask, idimu, Congo, 1935.

Der Entschluss, Naturwissenschaft zu betreiben, und der Entschluss, alles, was erscheint, als Einzelfall eines Gesetzes anzusehen, sind ein und dasselbe. Denn durch diesen Entschluss Galileo Galileis wurden die Natur-wissenschaften begründet.

Die Grundform des Naturgesetzes ist das Kausalprinzip. Es bedeutet, alles, was ist, als ein Ereignis aufzufas-sen, das mit Notwendigkeit aus einem vorangegangenen Ereignis folgt. Dieses Prinzip ist nicht aus der For-schung gewonnen, sondern liegt ihm zu Grunde. Es ist eine heuristische, „regulative“ Annahme, durch die For-schung erst möglich wird. Dass sie sich im Verlauf der Forschung bewährt, macht den Erfolg der Forschung überhaupt erst aus: Die Natur der Wissenschaft ist definiert als das Reich, wo Kausalität herrscht. Es ist eine Petitio principii. Wenn etwa die Hirnphysiologie findet, dass ein freier Wille nicht statt hat, holt sie aus ihrer Forschung nur heraus, was sie vorab hineingetan hat.


Solange sie es dabei bewenden lässt, ist alles in Ordnung. Wenn sie aber aus einem regulativen Prinzip ein konstitutives Prinzip macht, betreibt sie Metaphysik und verlässt den Boden der Naturwissenschaft.

Das Kausalprinzip ist kein Fund der Wissenschaft, sondern ein Selektionsprodukt der Lebenswelt. Es beruht auf der im Laufe einer millionenjährigen Gattungsgeschichte angehäuften Erfahrung, dass ich, wenn ich einen noch nicht vorhandenen Zustand wünsche, zu dem vorhandenen Zustand etwas hinzufügen muss, nämlich einen Akt. Ich muss wirken.

Die Urform des Kausalprinzips ist der Animismus. Nämlich die Annahme, dass alle Dinge, die mir begegnen, so sind (und selbst, dass sie sind), weil sie es wollen. Sie wirken, weil sie so wirken wollen. Eine Unterscheidung zwischen ‚zufälligen’ und ‚notwendigen’ Ereignissen ist noch gar nicht möglich, denn zu jedem unerwarteten Ereignis kann ein noch unbekanntes beseeltes Subjekt hinzugedacht werden.

Doch die Erfahrung lehrt, dass viele Ereignisse sich vorhersehen lassen, und einige eben nicht. Der Mythos löst diesen Widerpruch, indem er an die Stelle der ganz individuellen immer allgemeinere Subjekte setzt. Gottheiten und Dämonen sorgen für Regelmäßigkeiten, von denen sie willkürlich abweichen können. Nicht mehr die Dinge selber wirken, sondern werden bewirkt. Und so der Mensch.

Die Form des Mythos ist die (positive) Erzählung, nicht die (fragende) Untersuchung. Man muss ihn glauben, fürs Wissen ist er ungeeignet. Die Fragen fernzuhalten ist sein eigentlicher Zweck. Die mythische Epoche ging unter mit dem Aufkommen der griechischen Philosophie. Ist das, was erscheint, so wie es ist, oder ist es in Wahrheit etwas anderes? Es beginnt das Zweifeln.

Es gibt nichts als Schein, meint Heraklit von Ephesos, und Parmenides von Elea entgegnet: Nur was erscheint, ist Schein; das Wahre ist nicht sichtbar, sondern nur dem Denken zugänglich. Ist oder ist nicht; Werden ist Täuschung. Der eine verneinte die Notwendigkeit, der Andere den Zufall. Hier griff Platos Ideen-Lehre ein. Die Ideen lagen nunmehr jeweils einer ganzen Klasse von Ereignissen zugrunde, sie waren ‚vor’ den Göttern auf dem Olymp. Sie waren das eigentliche Sein. Das Werden, das wir auf der Erde beobachten, ist uneigentlich, es ist das Wirken des Wahren in der Erscheinung. Zufall ist nur Schein, und doch die Erscheinungsweise des Not-wendigen. Wissen – im Unterscheid zu bloßem Meinen – ist: im Zufälligen das Notwendige ergründen.

Aristoteles’ Gedanke der Entelechien, deren jede ihr Entwicklungsgesetz ganz allein in sich trägt, war demge-genüber ein Rückgriff auf animistische Vorstellungen. Er behinderte die Ausbildung einer systematischen For-schung so lange, bis Galileo Platos Ideenlehre umformte in die Lehre von allgemeinen Naturgesetzen. Seither ist eine Kausalbetrachtung möglich und experimentell bewährte Wissenschaft.

Ein Gesetz muss gesetzt worden sein. Die Vorstellung von einem Schöpfergott wird nötig – ein unbegründeter Grund, causa sui, ein unbewegter Beweger. Kein Problem für die Theologie, aber unbefriedigend für den For-scher. Wenn Gott die Naturgesetze erlassen hat – ist er ihnen dann selber unterworfen? Dann wäre er nicht länger Gott. Er hätte am Anfang lediglich einen Fingerschnipp, une chiquenaude getan, um die Maschine in Bewe-gung zu setzen, dann setzte er sich zur Ruhe. So spöttelte Blaise Pascal über das ‚System’ des Descartes.*

Spinoza hat es radikal gelöst: Gott ist selber Naturgesetz, deus sive natura. Das ist im Wesentlichen Stand der Wissenschaft. Die Annahme, die Naturgesetze seien im Urknall erst entstandenen, macht lediglich den Urknall selbst zur causa sui. Alles bleibt im Rahmen des Gesetzes von Ursache und Wirkung, und auf dem Boden der Wissenschaft. Denn das Kausalprinzip reicht immer nur bis ganz dicht an den Urknall heran und nicht in ihn hinein und schon gar nicht hinter ihn zurück. Die Frage, was vor dem Urknall war, entzieht sich der Kausalbe-trachtung und gehört nicht zur Naturwissenschaft. Man mag sie spekulativ und experimentell in mythischen Bildern behandeln, und sie dann nach ihrer Plausibilität bewerten. Aber positiv erforschen lässt sich da nichts.

Und jedem Wissenschaftler steht es frei, den Urknall selbst für den Sitz des Schöpfergottes zu halten – solange er das privat für sich tut und nicht die Öffentlichkeit damit behelligt.

*

Bleibt eines hinzu zu fügen. Niemand ist gehalten, die ganze Welt naturwissenschaftlich zu betrachten. Das tut auch der Naturwissenschaftler nicht, denn damit würde er nicht einen Tag im wirklichen Leben überstehen. Naturwissenschaftlich denkt er im Labor, nur da ist es am Platz.
  

*) …das Malebranche daher um die Zutat ergänzte, dass Gott die Freiheit bleibt‚ ’bei Gelegenheit’ immer wieder mal steuernd einzugreifen – womit aller Wissenschaft der Garaus gemacht ist.




Geist und Materie, oder: Natur und Geschichte.



Ich kann das Gewicht einer Kartoffel nicht erfahren, wenn ich ein Metermaß anlege, und ihren Umfang nicht mit der Waage messen. Ich kann das eine nicht aus dem andern ableiten noch das eine ins andere umrechnen. Es sind zwei verschiedene Dimensionen, die aber nicht in der Kartoffel stecken – die ist immer ein und die-selbe ; sondern in der Eigenart meines Wahrnehmungsapparats.

Genau so sind Freiheit und Kausalität einander irreduzibel.
  
*

Die Kartoffel in diesem Bild ist der Mensch.

Wenn ich mich einmal entscheide, eine Sache durch die Augen der Naturwissenschaften anzuschauen, habe ich ipso facto mitentschieden, sie unters Gesetz der Kausalität zu fassen: beides ist dasselbe. Habe ich einen Ge-genstand mit den Augen, das heißt den Messinstrumenten der Naturwissenschaften angeschaut, kann es nicht ausbleiben, dass ich ihn als einen Gegenstand der Naturwissenschaft erkenne. Jenes folgt aus diesem, und nicht umgekehrt.

Die Knolle Mensch muss ich aber nicht als einen Gegenstand der Naturwissenschaft anschauen. Ich kann sie – nur sie – auch als den Gegenstand der Geschichtsschreibung ansehen: als ein Wesen, das Geschichte hat, weil es sie macht. Andernfalls würde es die Frage nach dem freien Willen gar nicht geben. Stammt sie etwa aus der Naturwissenschaft? Da kommt sie nicht her, da gehört sie nicht hin.

Nur wer sagt, der Mensch ist in seinen Willensentscheidungen frei, kann auch sagen, dass er in der Welt etwas tun soll. Ist alles determiniert, dann haben die Recht, die schon immer gesagt haben, man kann nix machen. Ge-meint war jedes Mal: Ich brauch’ nix machen. Bevor Freiheit und Determination ein Problem der Geschichts-wissenschaft werden können, sind sie eine politische Frage.

Freilich ist dieses Problem längst gelöst. Die endgültige Antwort heißt: Die Menschen machen ihre Geschichte selber, aber sie machen sie nicht unter frei gewählten Bedingungen; und stammt von Karl Marx. Die nicht frei wählbaren Bedingungen sind für der Geschichtsschreibung das, was für die Naturwissenschaft die determinie-renden Faktoren sind. Für eine ‚verstehende’ Geschichtswissenschaft (wie Max Weber sie nennt) treten die Be-dingungen des Handelns in den Motiven der Handelnden wieder auf: als deren Triebkraft. Aber nicht als deren Richtung. Die muss der freie Wille, politischer Verstand oder Unverstand, ex sponte hinzufügen.

*

Mögen die Psychologen die Triebkraft der Motive zur Natur rechnen: Der Philosoph wird das Wollen immer zum Geist zählen (was auch sonst?).



Zweck und Ursache.


Die Beherrschung unseres Bewusstseins durch den Kausalmythos schlägt sich nicht zuletzt auch darin nieder, dass wir dazu neigen, die historische Bedeutung eines Ereignisses ihm rückblickend als seine Zweckursache "zu Grunde" zu legen.

Dass unsere Vorfahren sich weiland auf ihre Hinterbeine aufgerichtet haben - sicher nicht als die einzige Gruppe ihrer Art, aber die einzige, für die es sich bewährt hat -, war "von vorne betrachtet" sicher nur ein Zufall. Dieser Zufall hat aber die Ausbildung des menschlichen Gehirns möglich gemacht. Und nachdem die Möglichkeit Realität geworden ist, sieht es so aus, als sei die Ausbildung der Vernunft der Zweck dieses 'Ur-Sprungs' gewesen. Die faktische Folge eines faktischen Ereignisses wird diesem Ereignis als seine 'Bedeutung' zugerechnet.

aus e. Notizbuch, im März 08


Nota. - Wie Kausalität nur eine verkehrte Teleologie ist, die sich erkenntnispraktisch allerdings bewährt hat, ist Teleologie nur eine verkehrte Kausalität. Sie hat einen erkenntnispraktischen Wert, wenn man sie regulativ, heuristisch auffasst und nicht konstitutiv und dogmatisch.
JE



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